Der Tsunami im Indischen Ozean im Dezember 2004 riss über 230‘000 Menschen in den Tod. Die internationale Solidarität nach der Naturkatastrophe war riesig. In der Schweiz gingen allein bei der Glückskette 227 Millionen Franken Spenden ein. Mit diesem Geld unterstützte sie 183 Nothilfe- und Wiederaufbauprojekte von Schweizer Hilfsorganisationen. Jetzt nach zehn Jahren untersuchten unabhängige Entwicklungsexperten, ob die Projekte die Lebenssituation der betroffenen Menschen tatsächlich verbessert haben.
Das Haus: Der Boden für ein neues Leben
«Was zentral ist: Ein eigenes Haus ermöglicht den Begünstigten den Start in ein neues Leben», sagt Adriaan Ferf. Der Holländer arbeitet für die Beratungsfirma Channel Research, die auf die Analyse von Entwicklungsprojekten spezialisiert ist.
Ferf und sein Team überprüften 23 grosse Schweizer Hilfs- und Wiederaufbauprojekte in Sri Lanka, Indien und Indonesien. «Das Haus bietet den Familien die Möglichkeit, sich auf andere Aspekte des Lebens zu konzentrieren», erklärt Ferf. Die Familien können zum Beispiel in den Aufbau eines eigenen Geschäftes investieren oder in die Schulbildung der Kinder. Die Analyse von Channel Research belegt, dass in den untersuchten Projekten 87 Prozent der Begünstigten ihre Grundbedürfnisse wieder abdecken können. Der Lebensstandard ist bei ihnen wieder mindestens so hoch wie vor dem Tsunami.
Begrenzter Erfolg bei der Hilfe für die Ärmsten
Nicht den erwünschten Erfolg erzielten die Hilfsprojekte bei den ärmsten Bevölkerungsschichten. Die meisten Familien, die schon vor dem Tsunami Schwierigkeiten hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, fanden trotz Unterstützung häufig keine neuen Einkommensquellen. Dies betrifft gemäss Channel Research 13 Prozent der befragten Menschen
Sie haben weiterhin grosse Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. «Da wäre ein besseres Resultat wünschenswert gewesen», urteilt Adriaan Ferf, ergänzt aber: «Immerhin konnte erreicht werden, dass es diesen Menschen nicht schlechter geht als vor dem Tsunami.»
Optimierungsbedarf ortet die Studie auch beim Aufbau von gemeinschaftlich genutzter Infrastruktur: bei Markthallen, Spielplätzen oder Gemeindezentren sowie beim Bau von Spitälern und Schulen. Hier müssten Glückskette und auch die einzelnen Schweizer Hilfswerke in Zukunft neue Ideen und Ansätze entwickeln.
Grosse Unterschiede je nach Land
Die Forscher von Channel Research unterstreichen zudem: In den drei untersuchten Ländern profitierten die Menschen in sehr unterschiedlichem Mass von den Spendengeldern. Das hat wenig mit der Qualität der Schweizer Projekte und viel mit den Rahmenbedingungen zu tun.
Am schlechtesten schneiden die Projekte in Sri Lanka ab. Hier flammte der Bürgerkrieg nach dem Tsunami wieder auf. Die Kämpfe und die politischen Auseinandersetzungen behinderten den Wiederaufbau genauso wie die darbende Wirtschaft im Land.
Ganz anders in Indonesien: Hier brachte der Tsunami Frieden. Die Rebellen in der Provinz Aceh und die Regierungstruppen beendeten ihre Kämpfe endgültig. Dies und die internationalen Hilfsgelder nach dem Tsunami führten in der Region zu einem bescheidenen Wohlstand. In Indien wiederum unterstützte der gesamtwirtschaftliche Aufschwung den Wiederaufbau nach dem Tsunami.
Die Bilanz bei den Schweizer Projekten in den drei Ländern: Im Durchschnitt sind die von der Katastrophe betroffenen Menschen in Indonesien zufriedener mit ihrer Lebenssituation als vor dem Tsunami, in Indien etwa gleich zufrieden und in Sri Lanka weniger zufrieden.
Viele Faktoren entscheiden über Erfolg und Misserfolg
Für Adriaan Ferf ist auch zentral: Die im Ganzen erfreuliche Entwicklung der Lebensumstände von Familien und ganzen Quartieren könne nicht auf die Hilfe aus der Schweiz allein zurückgeführt werden. In jedem einzelnen der Projekte beeinflussen viele Faktoren die Entwicklung. Viele Regierungsstellen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene waren und sind involviert. Diese bestimmen über die Zuteilung von Land für die Häuser, über die Besitzverhältnisse und den Bau von zugehöriger Infrastruktur. Die Hilfswerke haben da wenig Einflussmöglichkeiten.
Ebenso wichtig ist die Eigeninitiative und die soziale Dynamik in den verschiedenen Gemeinschaften. Aber, bescheinigt Adriaan Ferf: «Die Schweizer Bevölkerung hat mit den Spenden einen bedeutenden Beitrag für die erfolgreiche Entwicklung geleistet.»