Am 16. März 1516 kam Conrad Gessner in Zürich zur Welt. Vor genau 500 Jahren. Und schon damals war er von seiner Grundhaltung ein moderner Forscher. Er stützte sich zwar, wie in der Renaissancezeit üblich, stark auf die alten Gelehrten vor allem der griechischen und römischen Antike ab. Doch er überprüfte zugleich kritisch, was er las, und stellte die eigene Beobachtung über alles.
Der römische Gelehrte Plinius zum Beispiel hatte geschrieben, die Leber von Mäusen würde je nach Mondphasen wachsen und schrumpfen. Conrad Gessner fing daraufhin viele Mäuse und sezierte sie. Sein Befund: Die Mäuselebern sind tatsächlich unterschiedlich gross, doch korreliert ihre Grösse mit jener der sezierten Tiere, nicht mit den Mondphasen.
Alles überprüfen, trotz viel Mühe
Ein guter Naturforscher müsse beobachten, beschreiben, reisen und sezieren – mit diesem Credo war Conrad Gessner in der Renaissancezeit nicht allein. Doch wurde der Schweizer wohl gerade deshalb zu einem der einflussreichsten Gelehrten seiner Zeit, weil er seine kritische Beobachtungshaltung auch bei Forschungsarbeiten von immensem Umfang konsequent durchhielt.
Anschaulich zeigt das seine «Historia Animalium», die ihn zum Mitbegründer der modernen, beschreibenden Zoologie werden liess.
In diesem ersten umfassenden Tierlexikon im damaligen Europa beschrieb der Zürcher Workaholic praktisch die gesamte bekannte Tierwelt der frühen Neuzeit in Text und Bild. Tausende von Tieren verzeichnete er im mehrbändigen Werk, samt einigen Fabeltieren, die damals noch durch die wissenschaftliche Literatur geisterten.
Conrad Gessner erstellte dieses Lexikon im Alleingang – und andererseits gerade nicht. Längst nicht alle Tiereinträge verfasste er von Grund auf selber – das konnte er ja gar nicht, bei dem Umfang.
Meister der Zusammenarbeit
«Conrad Gessner war der grosse Wikipedia-Editor seiner Zeit», sagt der Ökologe Dennis Hansen, der Führungen und Workshops zur Gessner-Ausstellung im Zoologischen Museum in Zürich durchführt. Denn Gessner war ein Meister der Zusammenarbeit, er pflegte vor allem brieflich einen regen Wissensaustausch mit Gelehrten aus aller Welt.
Die schickten ihm Bilder und Beschreibungen von Tieren aus ihren Herkunftsländern zu. Der Netzwerker aus Zürich überprüfte deren Gehalt zum Beispiel in der Diskussion mit weiteren Forschern aus seinem Korrespondenten-Netzwerk. Oder er machte öffentliche Aufrufe, ihm doch zur besseren Illustration mancher Tiere möglichst authentische Bilder zu schicken.
Wikipedia-Prinzip für Recherchen
Was er als solide einstufte, nahm er in seiner Tier-Enzyklopädie auf, was seiner Überprüfung nicht standhielt, liess er weg. Oder er nahm es dennoch auf, versah den Eintrag aber wie im Fall des Fischmensch-Fabeltiers «Meermönch» mit einem Kommentar, dass diese Informationen nicht genug abgesichert und daher nicht vertrauenswürdig seien.
So schuf er ein Lexikon, das trotz seines immensen Umfangs für damalige Verhältnisse erstaunlich genau war. Möglich war dies, weil Conrad Gessner das Wikipedia-Prinzip schon verinnerlicht hatte, lange bevor es Computer gab. Es lohnt sich, diesen in Vergessenheit geratenen Zoologen, Botaniker und Universalgelehrten der Schweiz neu zu entdecken.