Der bearbeitete Schwanenknochen, auf dem die Querflötistin Friederike Potengowski flötet, ist gerade mal so lang wie eine Hand, dick wie ein Finger und mit nur drei Grifflöchern versehen. Doch die Musik klingt bezaubernd, die Potengowski dem originalgetreuen Nachbau einer mindestens 35'000 Jahre alten Knochenflöte entlockt.
Der Zuhörer wird schnell von Ehrfurcht ergriffen. Denn was hier erklingt, ist Musik, wie sie auch in der Steinzeit gespielt worden sein könnte. Natürlich sind das nur Vermutungen, weil Hinweise auf das steinzeitliche Musikspiel fehlen. Doch der Klang des Instruments ist echt.
Steinzeitliches Musizieren gibt Rätsel auf
Die Knochenflöte gibt viele Rätsel auf. Ob sie direkt mit dem Mund angeblasen wurde, ist beispielsweise unbekannt. «Es ist möglich, dass die Flöten mit Rohrblättern gespielt wurden, mit Doppelrohrblätter wie bei Oboen etwa», sagt Friederike Potengowski. Die Forschung ist sich darüber bis heute uneinig.
Was man weiss: Die Flöte wurde aus der Speiche eines Singschwans gefertigt und in den 1990er-Jahren im Geissenklösterle ausgegraben, einem archäologischen Fundplatz im süddeutschen Achtal. Zwei andere Flöten wurden dort etwas später ebenfalls entdeckt.
Die vergangene Klangwelt neu erschliessen
Weitere Funde gab es schliesslich im benachbarten Lonetal. Für die Archäologin Susanne Münzel von der Universität Tübingen sind die Flöten daher eine «kulturelle Erscheinung des frühen modernen Menschen, die offensichtlich weit verbreitet gewesen sind».
Unsere frühen Urahnen musizierten also bereits. Und Musikarchäologen versuchen, sich diese vergangene klangliche Welt neu zu erschliessen. Die Forscher arbeiten interdisziplinär: Musikwissenschaftler und Archäologen sind beteiligt, aber auch Philologen und Ingenieure.
Ganz wesentlich für die Musikarchäologie ist, die kostbaren Originalfunde nachzubauen. So wie die Knochenflöte. «Die Instrumente müssen dafür exakt vermessen, die ursprüngliche Herstellungstechnik und das benutzte Material genau erforscht werden», sagt Musikarchäologe Adje Both von der Freien Universität Berlin. Nur so kann man sich dem verschollenen Klang nähern und ihn neu erzeugen.
Die ekstatischen Klänge der Hellenen
Etwas mehr als über die Knochenflöte wissen die Forscher bereits über den Aulos. Ein Blasinstrument mit zwei Rohren, dessen ältesten Funde aus dem 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung stammen. Seine Spielrohre wurden unter anderem aus Knochen, Schilfrohr und Holz gefertigt.
Aulos stammen aus der hellenistischen Zeit Ägyptens. Weil eine Pfeife etwas höher gestimmt ist als die andere, klingt das Instrument voluminös und laut und die Musik wirkt fast ekstatisch.
Kein Wunder, dass der Aulos in der griechischen Antike auch bei ekstatischen Kulten gespielt wurde. Wandbilder und Vasenmalereien etwa zeugen davon, zu welchen Anlässen er erklang. Diese bildlichen Darstellungen sind wertvolle Hinweise für Musikarchäologen, die die kulturelle Bedeutung der Instrumente erforschen.
Musik der Frühzeit mit heutigem Verständnis spielen
Ein solides Wissen haben die Forscher auch über die Hydraulis, eine römische Wasserorgel, deren Erfindung sich auf das 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datieren lässt. In einem technisch detaillierten und handwerklich anspruchsvollen Prozess, hat das Römisch Germanische Zentralmuseum in Mainz eine Hydraulis nachgebaut.
Susanne Rühling vom Zentralmuseum ist eine Virtuosin auf dem Instrument geworden. Dank weniger erhaltener Notenfragmente ist ihr Spiel dem ursprünglichen wohl etwas näher als die Melodien, die man heute anderen uralten Instrumenten entlockt – der Steinzeitflöte etwa. Doch ganz nachstellen lässt sich auch das antike Spiel der Hydraulis nicht. «Ich masse mir gar nicht an, spielen zu können wie ein Römer oder Grieche, denn ich bin musikalisch ganz anders geprägt», so Susanne Rühling.
Es ist ein Verständnis, das in der Musikarchäologie weit verbreitet ist. Das Spiel auf nachgebauten archäologischen Instrumenten kann sich der ursprünglichen Musik immer nur annähern. Eine Annäherung, die uns immerhin eine Idee der vergangenen Musik vermittelt – von der Steinzeit bis zu Antike.
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