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Ein Mann vernichtet Akten in einem Schredder.
Legende: Mehr Transparenz? Um vor Fälschungen zu schützen, könnten Forscher ihre gesamten Daten publizieren – nicht nur ausgewertete Resultate. Keystone

Mensch Die Anatomie eines Wissenschaftsbetrugs

Im September 2011 erschütterte ein Skandal die Wissenschaftsgemeinde. Der renommierte niederländische Psychologieprofessor Diederik Stapel hatte seine Karriere auf geschönten oder erfundenen Studien aufgebaut. Nun hat er das Buch «Entgleisung» geschrieben. Es zeigt, dass Reformen nötig sind.

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Diederik Stapel zeichnet in seinem Buch minutiös nach, wie er die ganze Wissenschaftsgemeinde hintergangen hat. Es begann mit relativ leichten Vergehen. Wenn die Ergebnisse eines psychologischen Experiments enttäuschend waren, suchte er in seinen Forschungsdaten nach sogenannten Ausreissern. Das sind Versuchspersonen, die mit ihren Antworten stark vom Durchschnitt abweichen; Menschen, die zum Beispiel markant älter, jünger, langsamer oder schneller sind als der Durchschnitt.

Wenn Diederik Stapel nun ein klareres Resultat erreichen konnte, indem er diese Ausreisser aus seiner Berechnung entfernte – tat er dies.

Unredliches Verhalten ist häufig

Das kann zwar unter Umständen durchaus gerechtfertigt sein, müsste aber dann in der Studie erwähnt und erklärt werden. Doch das tat Stapel nicht. Und damit ist er leider nicht alleine: Mehrere anonyme Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Forschenden bereits einmal ein solches Vergehen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit begangen hat.

Frei erfundene Experimente

Doch dabei liess es Stapel nicht bewenden. Er ging so weit, ganze Experimente frei zu erfinden – zum Beispiel eine Studie zur Frage, wie Unordnung in der Umwelt Vorurteile im Kopf der Menschen begünstigt. Diese Studie hatte er angeblich am Bahnhof von Utrecht durchgeführt, als dort wegen eines Streiks viel Müll herumlag. Den Streik gab es zwar, doch die Studie fand nie statt.

Wie Stapel trotzdem zu Daten kam, beschreibt er in seinem Buch so: «Ich sass alleine in meinem schicken Zimmer an der Universität Groningen. Ich hatte die Tür besonders sorgfältig geschlossen. (…) Ich öffnete die Datei mit den Daten, die ich erfasst hatte, und wandelte eine unerwartete 2 in eine 4 um, und in einer andern Tabelle wurde eine 3 zu einer 5. (…) Ich klickte auf »Auswerten«. Beim Anblick der neuen Ergebnisse war die Welt wieder logisch. (…) Es war schön, aber auch völlig falsch.»

Ein Versagen des Systems

Wie konnte es sein, dass niemand etwas davon merkte? Das hängt mit der charismatischen Persönlichkeit Stapels zusammen und mit der Macht, die er im Laufe seiner Karriere angehäuft hatte. Keiner sah einen Anlass, an ihm und seinen Kapazitäten zu zweifeln.

Der Fall Stapel

Doch es ist auch ein Systemversagen. Was es braucht, um einen zweiten Fall Stapel zu verhindern, ist mehr Transparenz bei den Daten von Forschenden. Zahlreiche Wissenschaftler fordern nun obligatorische Studienregister, wo die Forschenden im voraus angeben, was sie in ihrer Studie herausfinden wollen. Und die Forschenden müssten ihre Rohdaten herausrücken, nicht nur die fertigen Berechnungen. Sonst dürfte der nächste Wissenschaftsskandal nicht lange auf sich warten lassen.

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