Werner Geiger kennt die Schweizer Radiostimmen wie kein anderer. Der diplomierte Sprecherzieher hat jahrzehntelang die Stimmen von Moderatoren und Radioreportern geformt. Für «Einstein» wirft er einen Blick zurück.
Von draussen in die gute Stube
1931 entsteht die Schweizerische Rundspruchgesellschaft SRG und schafft ein Einheitsprogramm für die deutsche Schweiz. Zwei Mal täglich gibt es Nachrichten, es wird viel Musik gespielt – damals noch live von den Radioorchestern – und erstmals gibt es Reportagen. Mit brandneuen Reportagewagen und Tonaufzeichnungsgeräten bringen die Reporter so das Geschehen von draussen in die gute Stube.
Arthur Welti ist der erste Radioreporter bei Radio Zürich. Als er 1933 dort anfängt, sind die Pionierjahre des Radios vorbei. Dank mobiler Reportagetechnik berichtet Arthur Welti nun live, zum Beispiel von einer Gondelfahrt auf den Säntis.
Werner Geiger: «In der Stimme des Reporters spürt man die Begeisterung für die neuen technischen Möglichkeiten der Live-Reportage. Er spricht laut, als ob er der Übertragungstechnik noch nicht vertrauen würde. Er redet überdeutlich setzt viele Akzente und versucht, jedes Wort zu betonen.»
Die Kriegsreporter
In den Kriegsjahren liefert das Radio eine Verbindung zwischen der Heimfront und den Aktivdienstlern an der Grenze. Friedrich Brawand berichtet regelmässig aus dem Aktivdienst, zum Beispiel bei den Fliegertruppen. Auffallend: Der Reporter grüsst mit seinem Dienstgrad.
Werner Geiger: «Seine Stimme übernimmt den militärischen Jargon. Lange bevor es das Wort gab, berichtet er als «embedded journalist». Er ist bei den Truppen – auch mit seiner Stimme.»
Jeden Freitagabend hört die Schweiz gebannt Jean Rudolf von Salis in der «Weltchronik» sprechen. Einer der ganz wenigen unzensierten Kommentatoren des aktuellen Zeitgeschehens, die es damals gibt. Von Salis berichtet in den Kriegsjahren über Weltpolitik – mit einer klaren Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus – und bringt dem Radio grosses Renommee.
Werner Geiger: «Man hört in seiner Stimme, dass er abliest. Ein Chronist eben. Der studierte Historiker stellt die Sache ins Zentrum. Seine Stimme wirkt gedrängt und leicht erhöht.»
Die grossen Stimmen aus «Echo der Zeit»
Am 17. September 1945 geht das erste «Echo der Zeit» über den Äther – mitten in den Wirren eines vom Krieg geschädigten Europas. Weltgeschehen am Radio vermitteln, Fakten ausleuchten und über die unmittelbare Aktualität hinaus schauen – das ist das Ziel der neuen Sendung. Wichtige Zugpferde sind dabei immer ihre Korrespondenten.
Theodor Haller ist der Korrespondent aus London, bekannt als «Voice of England»:
Werner Geiger: «Die Stimme des studierten Historikers zeichnet sich durch eine legere Art aus. Sie wirkt einmal souverän, einmal süffisant. Zu seinen Themen gehörten natürlich die royalen Ereignisse. 1952 berichtete er für DRS von der Krönung Elisabeths II; 1986 kommentierte er für das Fernsehen die Hochzeit von Prince Andrew und Sarah Ferguson.»
Hans O. Staub wird bekannt als die Stimme aus Paris. Man kennt ihn wegen seiner pointierten Kommentare und für seine exzellente Rhetorik.
Werner Geiger: «Seine Stimme wirkte immer heiser, gepresst, im Fachbegriff auch disphonisch genannt. Eigentlich eine fürs Radio völlig ungeeignete Stimme – und doch hat sie eine ganze Ära nachhaltig geprägt.»
Heiner Gautschy wird berühmt als die Stimme aus New York. Seine Anrede am Anfang eines Radiobeitrags: «Hallo Beromünster, hier spricht Heiner Gautschy in New York» wird legendär. Fast 20 Jahre lang – von 1949 bis 1967 – ist er dort Korrespondent für das Schweizer Radio. Später berichtet er auch aus China, Kuba und der Sowjetunion.
Werner Geiger: «Seine Stimme wirkt zurückhaltend. Er spricht deutlich, berichtend. Eine klassische Informationsstimme.»
Eine der bekanntesten Stimmen
Casper Selg berichtet seit 1979 für Radio SRF – eine der bekanntesten Schweizer Radiostimmen. Nach Jahren als Leiter des «Echo der Zeit», ist er 2011 als Korrespondent nach Berlin gewechselt.
Werner Geiger: «Selg hat eine klare Stimme. Er formuliert sehr eloquent und pointiert. Er bildet lange Sätze und arbeitet stark mit Stimmungen. Selg führt mit seiner Stimme. Er hat eine klassische «leading voice». Seine Stimme ist eine Marke geworden.»
Eine engagierte Frau
Iren Meier ist lange die einzige weibliche Kriegsreporterin der Schweiz. Sie berichtet aus verschiedenen Konfliktgebieten. Bekannt wird sie mit ihren Reportagen aus dem Jugoslawien-Krieg. Später ist sie lange Korrespondentin in Beirut.
Werner Geiger: «In ihrer Stimme ist ihre Empathie, ihre Betroffenheit hörbar. Sie formuliert präzise: eine klassische Informationsstimme. Die Klangfarbe ihrer Stimme hat nicht sehr viele Varianten, trotzdem wirkt sie überzeugend und authentisch.»
Das Radio wird flippig
In den 80er-Jahren bekommt das Schweizer Radio zunehmend Konkurrenz durch die privaten Lokalradios. Dir SRG reagiert: Am 31. Oktober 1983 geht DRS3, der «amtlich bewilligte Störsender» an den Start. François Mürner war Moderator und Gründungsmitglied von DRS3.
Werner Geiger: «Sein Basler Dialekt ist seine Marke. Mit seiner Stimme und seinem Moderations-Stil schafft er eine intime Situation. Er redet schnell und rhythmisch. Es geht immer vorwärts.»
Andi Rohrer ist «der Neue in der Klasse». Seit April 2013 moderiert er bei SRF 3. Davor stand er für die Musiksendung «Virus» vor der Kamera.
Werner Geiger: «Sein Ostschweizer Dialekt ist auffallend. Er wirkt jung und frisch. Man hört, dass er improvisieren kann. Er hat eine mittlere bis hohe Stimmlage.»