SRF: Gibt es ein prinzipielles Problem mit den Naturwissenschaften in muslimischen Ländern?
Mohammed Yahia: Lange war die Wissenschaft in muslimischen und arabischen Ländern an den Rand gedrängt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum Beispiel wird viel Geld fürs Militär und die Rüstung ausgegeben. Dann gibt es viel Armut und, ja, natürlich auch viel Korruption. All dies hinderte die Wissenschaft, sich entfalten zu können. Auch heute noch.
Die Forschung kommt an den meisten Orten nicht richtig vorwärts, sagen Sie. Was bestimmt denn zur Zeit die Situation der Wissenschaften stärker: die Religion oder einfach die ökonomische Realität?
Ich würde nicht sagen, dass der Islam der massgebende Faktor ist. Ich denke, es ist die ökonomische Situation. Jetzt sind wir im Zeitalter der Wissenschaft. Und die Wissenschaft sorgt für Wohlstand auf der Welt. Und genau da wollen die Schwellenländer auch anknüpfen.
Haben Sie ein Beispiel dafür, was das Fehlen der Ressourcen im Forschungsalltag ganz konkret bedeuten kann?
Ein Beispiel, das ein Freund von mir erzählt hat: Er arbeitet hier, an der Universität Kairo, aber auch an der University of San Diego in den USA. Wenn er in den USA ist und DNA-Proben analysieren muss, dann hat er die Resultate noch am gleichen Tag, innerhalb von Stunden. Hier in Kairo muss er drei bis vier Wochen auf die Resultate warten.
Was sind denn weitere Hindernisse auf dem Weg zu einer prosperierenden Wissenschaft in muslimischen Ländern? Spielt die Religion tatsächlich nur eine untergeordnete Rolle dabei? Gibt es beispielsweise Forschung, die nicht akzeptiert ist oder nicht gemacht werden darf?
Ich würde nicht sagen, dass man die Forschung einschränken kann. Wir sehen zum Beispiel viele wissenschaftliche Publikationen aus muslimischen Ländern über die Evolution. Es gibt keine Autorität, die das einschränken würde. Aber in der Öffentlichkeit gibt es ein grosses Problem mit diesem Thema, der Evolution. Weil die Religion in dem Punkt so verstanden wird, dass die Wissenschaft hier eben gegen den Glauben steht.
Gibt es umgekehrt auch Forschung, die in islamischen Ländern besonders gut möglich ist?
In vielen muslimischen Ländern wird der Koran so interpretiert, dass ein Embryo keine Seele hat, bevor er drei Monate alt ist. Das bedeutet wiederum, dass solche Embryo-Zellen für die Forschung benutzt werden könnten. Im Gegensatz zu den USA zum Beispiel, wo das nicht möglich ist.
Was bedeutet das konkret?
Natürlich gibt es ethische Regeln: Man darf keine Embryonen für die Forschung züchten. Das ist gegen den Islam und auch gegen ethische Richtlinien. Das findet hier also nicht statt. Aber man darf doch mehr Zellen aus Embryonen gewinnen als dies in den USA möglich wäre. Von vielen Wissenschaftlern wird dies als eine Chance gesehen, dass man hier Forschung machen kann, die anderswo nicht möglich wäre.
Sie arbeiten selber im Wissenschaftsbetrieb, als Herausgeber von «Nature Middle East». Sie beobachten die Wissenschaftsszene nicht nur in Ägypten, wo Sie wohnen, sondern insbesondere im Nahen Osten und weiteren muslimischen Ländern. Welche Massnahmen könnten aus Ihrer Sicht helfen, damit im Wissenschaftsbereich aufgeholt werden kann?
Die erste Massnahme wäre ganz klar eine bessere Ausbildung. Die meisten muslimischen Länder haben da ein ernsthaftes Problem; es braucht Reformen. Die zweite Massnahme wäre mehr Wissenschaftskommunikation. Die Öffentlichkeit muss wissen, dass die Forschung eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. Die Leute auf der Strasse sollen sehen, dass sie Lösungen für viele anstehende Probleme bereitstellt. Hier zum Beispiel, in der arabischen Welt, gibt es Probleme mit der Wasserversorgung. Und die Wissenschaft hat hierzu die Lösungen! Wir müssen wirklich dafür sorgen, dass sich die Leute für Wissenschaft begeistern.
Und drittens?
Die dritte Massnahme wäre, ein Umfeld zu schaffen, das die Forschung unterstützt. Viele Wissenschaftler arbeiten unter sehr schlechten Bedingungen. Sie haben zu wenig Geld und zu wenig technische Ausrüstung. Auch die staatlichen Gesetze unterstützen sie nicht – aber am Ende sollen sie dann doch Spitzenforschung produzieren.