«Das Problem ist, dass viele Menschen einen Kontrollverlust erleben, wenn sie Chips und Flips essen», sagt Monika Pischetsrieder. Auch die Professorin am Lehrstuhl für Lebensmittelchemie der Universität Erlangen-Nürnberg greift noch einmal in die Schüssel mit Knabbereien: «Einmal angefangen, nimmt man eine Hand nach der anderen». Doch sie und ihre Kollegen versuchen wenigstens, das Geheimnis zu lüften, das hinter der sogenannten hedonischen Hyperphagie steckt: dem hemmungslosen In-Sich-Hineinstopfen von Chips, Schokolade und anderen Dingen.
«Und uns hat interessiert, welche molekularen Bestandteile der Lebensmittel dazu führen, dass man sie über die Sättigung hinaus aufnimmt», sagt Lebensmittelchemiker Tobias Hoch. Er überprüfte das an Ratten. Um zu sehen, was die Tiere am stärksten zu übermässigem Fressen verführt, setzte er ihnen zunächst neben dem üblichen Laborfutter klein gemahlene Kartoffelchips vor. Und zusätzlich Futtermischungen mit unterschiedlichen Mengenverhältnissen von Kohlenhydraten und Fetten, den Hauptbestandteilen von Chips. Die Auswertung der Daten zeigte klar: Bei einem bestimmten Mengenverhältnis frassen die Ratten viel mehr als nötig.
Die Naschformel
Die Wissenschaftler glauben jetzt zu wissen, was bestimmte Lebensmittel unwiderstehlich macht: «Man könnte es als Naschformel bezeichnen», sagt Monika Pischetsrieder, «das ist so eine Zusammensetzung, die uns offensichtlich zum Naschen oder zum Knabbern verführt».
Die Formel lautet: 50 Prozent Kohlenhydrate und 35 Prozent Fett – bei diesem Mischungsverhältnis im Futter war der Heisshunger der Ratten laut Doktorandin Stefanie Kress am grössten: «Erstaunlicherweise nahmen die Tiere in extrem kurzer Zeit bis zu 50 Prozent der Gesamttagesenergie auf». Insgesamt frassen sie knapp ein Drittel mehr als sonst üblich. Die Forscher gehen davon aus, dass die Naschformel auch beim Menschen funktioniert. Um das zu bestätigen, ist jetzt eine Folge-Studie geplant.
Chips, Flips, Schoggi – die üblichen Verdächtigen
Wobei nicht nur Kartoffelchips dieses fatale 50:35-Verhältnis aufweisen, sondern auch Erdnussflips, Schokolade oder Nuss-Nougat-Creme. «Die üblichen Verdächtigen», nennt Monika Pischetsrieder sie. Bisher habe man gedacht, der Kontrollverlust geschehe bei besonders kalorienreichen Lebensmitteln. «Aber wir haben jetzt festgestellt, dass es dieses spezielle Zusammensetzung ist, die sehr attraktiv ist».
Doch warum ist das so? Zum einen mag der Körper Kohlenhydrate, weil sie direkte und schnelle Energie liefern. Kohlenhydrate werden enorm schnell zu Glukose abgebaut – der Hauptbrennstoff fürs Gehirn. Fette hingegen stellen längerfristige Energie bereit. Die Forscher vermuten nun, dass das Verhältnis 50:35 für den Körper schlicht am effizientesten ist.
Auf Vorrat essen
Die Evolution könnte uns so getrimmt haben. In der Frühgeschichte des Menschen war das Nahrungsangebot knapp. Da mag es sinnvoll gewesen sein, möglichst schnell viel in sich hinein zu stopfen, wenn sich die Gelegenheit bot. Auf Vorrat sozusagen.
Heute dagegen, bei all dem Überangebot an Lebensmitteln, ist der Kontrollverlust beim Essen ein Problem, wie auch Projektleiterin Pischetsrieder betont: «Für uns ist es jetzt natürlich unangenehm, weil so ein Kontrollverlust dazu führt, dass wir mehr essen als wir brauchen. Das heisst also zunehmen. Und sich damit verbunden natürlich auch Krankheiten entwickeln.»
Wer sicher sein will, dass er die Kontrolle beim Essen nicht verliert, dem bleibt wohl nur eines: die Finger ganz von den verführerischen 50:35-Knabbereien lassen.