Die Pianistin Chia-Jung Tsay hat in ihrer Laufbahn an so manchem Musikwettbewerb teilgenommen – und auch etliche gewonnen. Mit 12 Jahren spielte sie Mendelssohn im Konzert, mit 16 gab sie ihr Debüt in der Carnegie Hall. Heute forscht Chia-Jung Tsay neben dem Klavierspielen als Psychologin am University College in London. Und zwar unter anderem daran, ob bei Musikwettbewerben tatsächlich die Musik die erste Geige spielt.
Tonlose Videoaufnahmen
Chia-Jung Tsays Experiment dazu war denkbar einfach: Sowohl professionelle Musiker wie Laien erhielten jeweils entweder kurze Tonaufnahmen zu hören, kurze tonlose Videoaufnahmen derselben Sequenz zu sehen oder Videoaufnahmen mit Ton zu sehen und zu hören. Die Aufnahmen stammten alle von echten, berühmten internationalen Musikwettbewerben der vergangenen Jahre.
Dann mussten die Versuchspersonen herauszufinden versuchen, wer tatsächlich gewonnen hatte. Resultat: Erstaunlicherweise konnten jene Versuchspersonen den Gewinner des Wettbewerbs am besten erraten, die eine stumme Videoaufnahme zu sehen bekommen hatten - und zwar galt das sowohl für Laien wie für professionelle Musiker.
Das Visuelle wird überbetont
Das spreche dafür, dass auch die Juroren an den Wettbewerben visuelle Reize stark überbetonten, sagt Chia-Jung Tsay. Und das, obwohl in ihrem Experiment alle Versuchspersonen versichert hatten: Das Wichtigste bei einer musikalischen Vorstellung sei selbstverständlich die Musik, der Klang, und nicht das Auftreten oder das Aussehen der Musikerinnen und Musiker.
Link zur Studie
Die Gesichtszüge der Musiker hatten zwar tatsächlich keinen Einfluss. Das konnte Chia-Jung Tsay in in einem weiteren Experiment zeigen, wo die Musiker im tonlosen Video nur noch als Silhouette zu sehen waren. Ausschlaggebend war weder das Gesicht noch der Klang, sondern: die Bewegungen. Aus ihnen schlossen die Versuchspersonen auf Leidenschaft, Motivation und Kreativität der Musiker. Und errieten so oft die tatsächlichen Gewinner. Von wegen also «Der Ton macht die Musik».