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Mensch Flucht vor der tödlichen Dürre

Klima-Migration wird oft mit Extremwetter-Ereignissen in Verbindung gebracht. Mit Fluten und Stürmen, mit überschwemmten Landstrichen und niedergefegten Siedlungen. Doch der Grossteil der Millionen von Klima-Migranten ist aus einem anderen Grund unterwegs: Dürre ist die tödlichste Naturkatastrophe.

Das Unglück bahnt sich schrittweise an und es kommt auf leisen Sohlen. Entsprechend wenig Beachtung finden Dürre-Katastrophen ausserhalb der betroffenen Gebiete. Dabei sind Hitze und Trockenheit der wichtigste Grund, warum Menschen ihre Heimat verlassen und zu Klima-Migranten werden, sagt Umweltrisiko-Experte Sebastian Jülich vom Forschungsinstitut WSL: «Dürre ist zwar eine schleichende, aber die tödlichste Naturkatastrophe.»

Jülich hat die Folgen des Klimawandels in Dörfern im indischen Bundesstaat Odisha untersucht. Nahezu jede Familie war gezwungen, eines oder mehrere Mitglieder zum Geldverdienen in die Fremde zu schicken. So kommt das Leben in ländlichen Dürre-Gebieten zum Erliegen.

Valerie Mueller, Ökonomin am Internationalen Forschungsinstitut für Agrar- und Ernährungspolitik IFPRI in Washington, hat in Bangladesch und Pakistan beobachtet , wie Hitze und Dürre ganze Dorfgemeinschaften unter Migrationsdruck setzen: «Wenn die Ernte ausbleibt, geraten zunächst die Bäuerinnen und Bauern in Not und weil sie keine Güter und Dienstleistungen mehr bezahlen können, sehen sich auch der Ladenbesitzer und der Friseur gezwungen, das Dorf zu verlassen.»

Wenn alles weg ist, gehen die Menschen

Ob eine Hitzeperiode nur vorübergehend ist oder in eine chronische Dürre mündet, ist nicht von Beginn an klar. In der Hoffnung, der Regen komme doch noch, harren die Menschen sehr lange aus. Die Migration ist dann der letzte Schritt in einer ganzen Kaskade von Anpassungsmassnahmen und wird so lange als möglich hinausgezögert.

Drei Frauen hocken im ausgetrockneten Flussbett und schöpfen Wasser aus einem kleinen Loch.
Legende: Dürre im indischen Bundesstaat Odisha: Frauen schöpfen Wasser aus einem ausgetrockneten Fluss. Sechs Millionen Menschen litten 2000 unter einer schweren Dürre. Reuters

Erst wenn der Besitz weg ist, gehen auch die Menschen weg, weiss Sebastian Jülich von seinen Studien in Indien: «Zuerst essen die Menschen weniger. Dann brauchen sie ihre Vorräte auf und beleihen ihre Nutztiere und Arbeitsgeräte. Hält die Dürre an, verkaufen sie Tiere, Geräte und Saatgut. Erst wenn nichts mehr da ist, kommt die Migration ins Spiel.»

Will der Mensch den Klimawandel überstehen, muss er sich anpassen. Das ist eine der zentralen Aussagen des aktuellen IPCC-Klimaberichts. Anpassung kann in letzter Konsequenz eben auch bedeuten, seine Heimat zu verlassen. Mehrere Dutzend Millionen Klima-Migranten sind derzeit unterwegs, schätzen Experten. Genauere Angaben gibt es nicht. Denn Klima-Migration ist ein weit komplexeres Phänomen, als lange Zeit angenommen.

Gefahr für den Wohlstand?

Der Klimawandel setzt vor allem jene Menschen unter Druck, die in Regionen leben, wo Armut, Gewalt, Ungerechtigkeit und soziale Unterschiede bereits gross sind. Trotzdem führt Klima-Migration nur selten zu zusätzlichen Konflikten. Wie viele Sicherheitsexperten stösst sich Jürgen Scheffran vom Klimacampus der Universität Hamburg deshalb an dem Bild, das viele Studien und Berichte malen: Jenes von Bedrohung und unkontrollierbaren, den hiesigen Wohlstand gefährdenden Flüchtlingsströmen. Migration sei kein kollektives Phänomen, sondern in erster Linie ein individuelles. Es sei auch nicht klar zu belegen, dass Klima-Migranten die weltweite Konfliktlage anheizten, sagt Scheffran.

Umweltmigration findet nämlich vorwiegend friedlich und innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen statt. Das Ziel ist oft die nächste Stadt. Meist geht der stärkste Mann im Haushalt. Seltener migrieren ganze Familien. Was die Migranten nach Hause schicken, hält in Dürregebieten Asiens und Afrikas ganze Regionen am Leben.

Klima- und Sicherheitsforscher Scheffran versteht Migration daher in erster Linie als sinnvolle und erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel. Sie diene dem Transfer von Geld und Wissen: «Wenn eine Familie zum Beispiel ihren ältesten Sohn in die Nachbarstadt schickt, um Geld zu verdienen, oder ins Ausland, damit er eine bessere Ausbildung erhält, dann kann das die Situation der ganzen Familie verbessern.» Migration ist also nicht immer etwas Negatives.

Klima-Migration aktiv unterstützen

Umweltökonomen wie Valerie Mueller gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sollte sich in weiteren Studien bestätigen, dass Umweltmigration die Lebensqualität der betroffenen Menschen tatsächlich derart positiv beeinflusse, dann müsse man Abwanderung aus verarmten Dürregebieten aktiv unterstützen – mit Geld und Wissen.

Denn die Untersuchungen von Mueller, Jülich und anderen Wissenschaftlern haben gezeigt: Wenn die Dürre bleibt, dann geht, wer kann. Zurück bleiben die Ärmsten der Armen. Die Kranken, die Alten und jene, die nicht einmal eine Reise in die nächste Stadt vermögen.

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