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Menschen auf der Flucht nahe der Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo.
Legende: Konfliktgebiet Nord-Kivu: Kämpfe zwischen Armee und Rebellen haben schon viele vertrieben – wie diese Menschen nahe der Provinzhauptstadt Goma. Reuters

Mensch Forscher auf der Flucht

Wenn Forscher mit ihrer Arbeit Machthaber verärgern, kann Gefahr drohen. So wie bei Guilain Mathe, der die Demokratische Republik Kongo verlassen musste. Nach einer Odyssee durch mehrere Länder analysiert der Politologe heute in Lausanne Konflikte seiner Heimat – dank Hilfe von «Scholars at Risk».

Guilain Mathe kennt Krieg, Tod, alltägliche Gewalt von Kindsbeinen an. Der heute 32-jährige Politologe ist in Nord-Kivu aufgewachsen, einer Region im Osten der Demokratischen Republik Kongo. «Meine Heimat leidet seit Jahren unter bewaffneten Konflikten», erzählt er, «Rebellen aus der Region, aber auch die Armeen aus Kongo und Ruanda sind oder waren in Nord-Kivu aktiv.»

Porträtfoto von Guilain Mathe.
Legende: Vom Kongo über Senegal nach Lausanne: Guilain Mathe musste wegen seiner Arbeit als Forscher auf Konfliktgebieten fliehen. Linkedin

Angefeindet, bedroht und vertrieben

Mathe studierte Politologie an einer lokalen Hochschule. Schon mit seiner ersten Forschungsarbeit brachte er mächtige Personen in seiner Gegend gegen sich auf. «Ich hatte die Rolle der katholischen Kirche im Bürgerkrieg von 1996 bis 2003 untersucht und die Hintergründe einiger Massaker.» Der Student erhielt Drohungen. Auf der Strasse, per Telefon.

Um sein Leben zu retten, flüchtete Mathe nach Süd-Kivu, studierte in der Stadt Bukavu weiter. Doch noch immer riefen seine Gegner an und drohten ihm. «Ich fürchtete, dass sie nach Bukavu kommen würden, es ist ja nicht weit.» Er kontaktierte eine Hilfsorganisation in den USA, und diese ermöglichte ihm die Flucht in den Sénégal.

Dort konnte Mathe zwar an einem Forschungsinstitut arbeiten, allerdings nicht in seiner wissenschaftlichen Domäne. So wechselte er in die Elfenbeinküste, doch langsam ging das Stipendium aus den USA zur Neige, und die Elfenbeinküste drohte, ihrerseits in einen Bürgerkrieg abzugleiten. Guilain Mathe stand erneut vor dem Nichts.

Internationales Hilfenetz für Betroffene

Retter in der Not wurde die Organisation «Scholars at Risk» – Wissenschaftler in Gefahr. Sie hilft seit rund 15 Jahren, wenn Forscher wegen ihrer Arbeit oder ihrer Ideen in Gefahr geraten. Diese Gefahr kann von ganz verschiedenen Akteuren ausgehen, sagt Robert Quinn, der Leiter von Scholars at Risk: «Einige Wissenschaftler, denen wir helfen, haben Korruption aufgedeckt. Ein anderer hat in Brasilien Umweltvergehen von Firmen im Amazonas publik gemacht; wieder andere werden in Pakistan von religiösen Gemeinschaften angegriffen.»

Die Brennpunkte, wo Ideen und Macht aufeinanderprallen, liegen im arabischen Raum, in Nordafrika, im Iran. Scholars at Risk koordiniert von New York aus ein internationales Netzwerk von Universitäten. Diese Hochschulen sind bereit, verfolgte Wissenschaftler für eine gewisse Zeit aufzunehmen, damit sie der Gefahr entkommen und ihre Laufbahn neu starten können. Manche Forscher können nach einer gewissen Zeit auch wieder zurück an ihre ursprünglichen Arbeitsorte, zum Beispiel, wenn sich eine aufgeheizte Stimmung nach politischen Wahlen wieder beruhigt.

Weitere Informationen

Unterstützung auch in der Schweiz

Seit kurzem arbeiten auch Schweizer Universitäten mit Scholars at Risk zusammen. Die Universität Lausanne hat Guilain Mathe Unterschlupf geboten. Dort arbeitet er nun an seiner Doktorarbeit. Doch einfach war die Hilfsaktion nicht. Für solche Fälle gibt es in den meisten Ländern und Universitäten keine festen Geldquellen. Im Fall von Mathe sprang das Rektorat der Uni Lausanne ein und finanzierte schliesslich die Doktorarbeit. Zeitweilig arbeitete er in einem McDonalds, um über die Runden zu kommen. Aber das erzählt Mathe erst, wenn man ihn danach fragt.

Mathe ist Scholars at Risk und der Uni Lausanne enorm dankbar: «Mir fehlen die Worte, um von allen Dächern zu rufen, wie wichtig diese Arbeit ist.» Ähnlich klingt es von vielen, die von der Organisation profitieren: Dank ihr könnten Universitäten ihre Rolle auch in Krisengebieten ein Stück weit besser spielen.

Zum Beispiel einen Ort bieten, an dem friedlich über konkurrierende Ideen gestritten werden kann. Robert Quinn erzählt von einem palästinensischen Wissenschaftler, der ihm gesagt hat: «Auf unseren Strassen regieren die Waffen. Wenn die Leute aber die Universität betreten, so geben sie die Pistole am Eingang ab.» Dann gewinnt nicht mehr die Macht, sondern das überzeugendere Argument.

Fragen gestellt – hinter Gitter gesteckt

Der Politiologe Mathe erforscht nun, wie die Organisation der Rebellen in seiner Heimat Kivu funktioniert. Dafür setzt er sich nach wie vor grossen Risiken aus. Gerade war er für drei Monate zurück in Kivu, um Leute zu befragen. Trotz aller Vorichtsmassnahmen wurde er prompt von paramilitärischen Milizen vorübergehend verhaftet.

Diese Forschung sei wichtig, davon ist Mathe überzeugt. Weil sie hoffentlich aufzeigen könne, warum es im Kivu so viel Gewalt gebe – und dadurch lasse sich vielleicht die Situation verbessern. «Ich bin inmitten dieser Konflikte aufgewachsen», sagt er, «das soll doch einen Sinn gehabt haben.»

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