Allein die Fundgeschichte ist ein wahres Abenteuer. Der Paläoanthropologe Lee Berger von der Universität Witwaterserstand in Südafrika hatte Höhlenkletterer beauftragt, das «Rising Star»-Höhlensystem im Nordwesten von Johannesburg systematisch nach Frühmenschenfossilien abzusuchen. Zwei von ihnen entdeckten in 30 Metern Tiefe einen bislang unbekannten Eingang in eine der zahlreichen Karsthöhlen: Ein winziges Loch, an der engsten Stelle nur gut 17 Zentimeter breit. Die beiden Männer quetschten sich hindurch und landeten in einem Raum, der vollgepackt mit Knochen war. Sie schossen einige Fotos und machten sich auf den Rückweg, um die Bilder Lee Berger zu zeigen.
Noch in derselben Nacht begannen die Vorbereitungen für die Rising Star Expedition.
Gesucht: kleine, wendige Wissenschaftler
Als erstes organisierte Berger ein Ausgrabungsteam. In einer weltweiten Ausschreibung suchte er kleine, wendige und höhlenerfahrene Nachwuchswissenschaftler, die alles stehen und liegen lassen würden, um drei Wochen später an einem einzigartigem Projekt teilzunehmen. 50 qualifizierte Bewerbungen gingen ein – sechs Frauen erhielten den Zuschlag.
Die auf eine Woche angesetzte Ausgrabung im November 2013, über die das Team via soziale Netzwerke berichtete, wurde ein ungeahnter Erfolg, so Lee Berger: «Am Ende der Woche hatten wir mehr als 1200 Fragmente von Frühmenschenskeletten, geborgen». Im Januar 2014 fand eine weitere Grabung statt, danach gab es einen Workshop, in dem alle Fossilien wissenschaftlich untersucht wurden.
«Die Zahl der Fossilien ist enorm», sagt auch einer der Leiter des Rising-Star-Projekts, der US-amerikanische Paläoanthropologe John Hawks von der Universität von Wisconsin in Madison. «Wir haben 1751 Fundstücke nummeriert. Hunderte Knochen sind vollständig, dazu haben wir eine komplette Hand, einen ganzen Fuss und mehr als 150 Zähne.»
Überreste des Sternenmenschen
Nun wurden die Fossilien im Fachblatt «eLife» wissenschaftlich beschrieben. Bei den Skeletten handelt es sich demnach um die sterblichen Überresten einer zuvor unbekannten Menschenart, die den Namen Homo naledi erhielt. Naledi bedeutet «Stern» in Sotho, eine der lokalen Sprachgruppen in Südafrika.
Das Besondere an der Fundstätte ist die Masse der Knochen. Mehr als 700 wurden für die Studie genau analysiert. Es sind die Überreste von 15 Personen, die vermutlich alle gleichzeitig gestorben sind. Damit können die Forscher zum ersten Mal überhaupt eine einheitliche Gruppe analysieren: Es gibt Kinder, Männer und Frauen.
Ein anatomisches Mosaik
Die Durchschnittgrösse eines erwachsenen Homo naledi wird mit etwa 1,46 Metern angegeben. Von der Grösse her unterscheiden sie sich nicht gross von heute lebenden kleinen Menschen, wie sie in einigen afrikanischen Gebieten vorkommen. Auch in einigen Bereichen der Skelette sind sie Homo sapiens sehr ähnlich, vor allem hinsichtlich der Hände und Füsse.
Ganz anders beim Brustkorb, dem Schultergürtel oder dem Becken, welche die Wissenschaftler eher von sehr frühen Homo Vertretern kennen, wie etwa von Homo rudolfensis , Homo habilis oder Homo erectus – Menschen, die vor rund zwei Millionen Jahren lebten.
Der kleine Schädel und seine Form, Kiefer und Zähne sind hingegen anatomisch modern. Die Forscher fanden noch weitere Besonderheiten, die sie bisher bei keinem anderen Frühmenschen gesehen haben. Kurz: Den Forschern liegt ein anatomisches Mosaik vor. Hätten sie nur die Handknochen gefunden, würde ihre Interpretation ganz anders lauten als wenn sie nur ein Becken hätten analysieren können. Doch wann hat dieser Mensch genau gelebt?
Schwierige Zuordnung im Stammbaum
Seiner Datierung ist das Mosaik nicht eben zuträglich. So sei lediglich klar, dass es ein sehr primitiver, also ursprünglicher Vertreter der Gattung Homo ist. Auch die Fundstätte kann bei der eindeutigen Zuordnung im Stammbaum des Menschen nicht weiterhelfen. Es gibt keine Tropfsteine oder andere Materialien, die eine verlässliche Zeitangabe ermöglichen.
Im Gegensatz zu früheren spektakulären Funden, laden die Experten – die aus Südafrika und elf weiteren Ländern kommen – weltweit Kollegen ein, mit ihnen zusammen die Funde zu studieren, um die Geschichte der Menschwerdung besser zu verstehen.