SRF: Frau Pierantognetti, wie kommt man darauf, Handtaschen-Therapeutin zu werden?
Rosanna Pierantognetti: Mir kam die Idee, als ich beobachtete, wie viel Freude meine kleine Tochter daran hatte, in meine Handtasche zu schauen, obwohl sie das eigentlich nicht durfte. Plötzlich erinnerte ich mich, dass auch ich früher immer gerne in den Taschen meiner Mutter und Oma gestöbert habe. Einerseits weil es verboten war, andererseits, weil es immer irgendetwas Überraschendes in diesen Taschen gab. Ich habe dann viel zum Thema gelesen und irgendwann meine Freundinnen gebeten: Öffnet mir doch eure Taschen. Was sie gemacht haben. Das habe ich ausgeweitet und so acht Haupttypen von Handtaschenträgerinnen gefunden.
Welche Typen kommen denn am häufigsten vor?
Welcher Handtaschen-Typ sind Sie?
Da gibt es die Haupttypen. Die Alleskönnerin, die immer alles dabei hat. Die Spasshaberin, bei der es wild und bunt ist. Die Friedensstifterin legt Wert auf Nachhaltigkeit, dass auch alles ökologisch wertvoll ist. Und die Glücksstrategin ist ebenfalls sehr bunt und hat viel Spass am Leben. Ich habe oft Feedback von Psychologen und Therapeuten bekommen, die mir sagten, dass ich da sehr richtig liege. Man kann tatsächlich viele Dinge aus der Handtasche herauslesen.
Was haben all diese Typen gemeinsam?
Bei 99 Prozent der Taschenträgerinnen habe ich natürlich Geldbeutel, Schlüssel und das Handy gefunden. Das ist die absolute Basis, selbst bei Damen, die Handtaschen ablehnen, weil ihnen das zu weiblich und zu dekorativ ist. Aber diese drei Dinge müssen sie irgendwie verstauen.
Sie bezeichnen sich als «Handtaschen-Therapeutin», was kann man darunter eigentlich genau zu verstehen?
Das ist ja kein wirklicher Beruf, eher eine Berufung. Ich gehe das Thema mit einem Augenzwinkern an. Ich bin keine Psychologin oder Soziologin, sondern diplomierte Erlebnis-Inszeniererin. Eine Trüffelsucherin rund um die Frau und Produkte für sie; ich gebe Tipps. Manche Frauen haben eine viel zu schwere Handtasche, oder sie finden nichts darin. Da kann eine Handtaschenlampe helfen oder die Dinge einfach anders anzuordnen. Wenn Portemonnaie, Notizbuch und Handy schwarz sind, ist es nicht verwunderlich, wenn man sie nie findet. Da sollte etwas Buntes dabei sein oder ein anderes Material. Wenn es aber an echte Probleme geht, dann leite ich die Person an einen Therapeuten weiter.
Gibt es tatsächlich Frauen, die ein Handtaschenproblem haben?
Naja, es ist eher so, dass sich Probleme an der Handtasche zeigen können. Bei Frauen zum Beispiel, die kaufsüchtig sind, sieht man an den Handtascheninhalten, dass sie auf Statussymbole stehen, an der Vielzahl der Dinge, an den Kassenbons. Ähnlich ist es auch bei jungen Fraune, die meinen, sich durch ihre Handtasche einen gewissen Status verschaffen zu müssen. Sie geben häufig viel zu viel Geld für solche Dinge aus, obwohl sie es gar nicht haben.
Wie wurde die Handtasche zu solch einem Status-Symbol?
Das hat im Wesentlichen die Modeindustrie forciert – durch die Werbung und durch prominente Handtaschenträgerinnen. Da gibt es dann den Effekt: Die Handtasche muss ich auch unbedingt haben.
Wer sind denn die berühmtesten Trägerinnen?
Jackie Kennedy, Grace Kelly… für sie hatte man bei Hermes extra den Kelly-Bag entworfen, als sie 1956 Fürst Rainer von Monaco heiratete. Und das ist wirklich eine Kulthandtasche, die man unbedingt besitzen muss.
Auch die Geschichten mit der Queen sind berühmt, denn sie nutzt ihre Tasche als Zeichen für den Security-Service. Wenn sie ihre Tasche auf eine bestimmte Weise trägt oder auf den Boden stellt, dann wissen ihre Bodyguards beispielsweise, sie will jetzt sofort nach Hause. Und dann gibt es ja auch Margaret Thatcher, die den Begriff Handbagging prägte. Sie hat mit ihrer schwarzen Handtasche immer auf das Unterhaus eingedroschen, die Standen also unter der Fuchtel der Premierministerin. Da wurde die Tasche zum Machtsymbol.
Die Handtasche als Zeichen der Emanzipation?
Schaut man sich die Geschichte der Handtasche an, so spiegelt sie auch die Geschichte der Emanzipation der Frau wider. Im Mittelalter hatten die Frauen noch kleine Säckchen unter ihren weiten Kleidern, in denen sie nur Puder oder ein Taschentuch aufbewahrten; und dann wurden die Behältnisse immer grösser, weil die Frauen immer mobiler wurden. Ab dem 17. und 18. Jahrhundert wurden die Taschen dann nach aussen getragen. Aber durch ihr verborgenes Innenleben hatten sie natürlich diese spannende, ein wenig erotische Ausstrahlung: Da durfte niemand hineinschauen. Was auch eine Rolle spielte: Vorher hatten die Männer teilweise die Sachen der Damen bei sich getragen – den Fächer oder das Parfüm beispielsweise. Und nun waren die Frauen auf einmal unabhängig!
Heute tragen auch immer mehr Männer Handtaschen. Oder trügt das Bild?
Männer haben schon früher Handtaschen getragen. Mein Vater war Italiener, er trug immer ein kleines Handtäschchen am Handgelenk. Aber die Männer von heute brauchen Behältnisse, wo sie ihren iPad, ihr Smartphone, die Zeitung, das Portemonnaie und vielleicht noch Hustenbonbons und Nasenspray hineinpacken können. Da kommen jetzt immer stärker die alltagstauglichen Messenger-Bags auf den Markt. Nicht etwa nur bei Männern, die sehr viel Wert auf Ästhetik legen, aus der Schwulen-Szene beispielsweise. Sondern auch bei Männern, die aus dem Business-Bereich kommen, die nicht mehr ständig die alte schwarze Laptop-Tasche mit sich herumtragen wollen. Das ist ein ganz neuer Trend, der sich da gerade entwickelt – und eine neue Zielgruppe für die Modeindustrie.