Tipp 1: Nichts für schwache Nerven
Einstein, J.F. Kennedy, Papst Johannes Paul II. – sie alle lagen irgendwann als Patienten auf dem OP-Tisch. Was dort mit ihnen geschah, beschreibt ein niederländischer Chirurg sehr anschaulich in seinem Buch «Schnitt!». Er hat besondere Fälle seines Fachs zusammengetragen und zeigt an ihnen auf, wie die Chirurgie funktioniert.
Albert Einstein beispielsweise litt gegen Ende seines Lebens an einer erweiterten Hauptschlagader im Bauch. Ein so genanntes Aorta-Aneurysma, gegen das die Medizin zu jener Zeit nicht viel ausrichten konnte. Ein Chirurg öffnete trotzdem Einsteins Bauch und umwickelte die vergrösserte Aorta kurzerhand mit einem Stück Zellophan.
Damals war das eine experimentelle Methode: «Das Aneurysma des grössten Wissenschaftlers aller Zeiten quasi in eine Butterbrottüte zu verpacken – das musste man sich erst einmal trauen», schreibt Arnold van de Laar über den Eingriff. Einstein überlebte noch mehrere Jahre, bevor er an dem Aneurysma starb.
Anhand solch spektakulärer Fälle nimmt der Autor den Leser auf eine Reise durch die Geschichte der Chirurgie mit. Man erfährt unter anderem, dass sich die heute so wichtige minimal-invasive Schlüsselloch-Chirurgie (Laparoskopie) aus einer Zufallsentdeckung entwickelt hat: Mediziner hatten versucht, innere Blutungen zu stoppen, indem sie Luft in die Bauchhöhle pumpten. Dabei merkten sie, dass es sich in der aufgeblasenen Bauchhöhle wunderbar operieren liess.
Neben spannenden Geschichten erzählt der Autor in einer witzigen und anschaulichen Schreibe viel Wissenswertes über die Arbeit von Chirurgen. Wie sie etwa zu ihren Diagnosen kommen und warum sie Kollegen aus anderen medizinischen Fächern oft wenig grün sind.
- Arnold van der Laar: «Schnitt! Die ganze Geschichte der Chirurgie erzählt in 28 Operationen», erschienen im Verlag Pattloch
Tipp 2: Eine Reise durch vergangene Welten
Dass wir Menschen überhaupt etwas über die Geschichte des Lebens auf der Erde wissen, ist in erster Linie den Fossilien zu verdanken – Mikroorganismen, Pilzen, Tieren und Pflanzen, die sich über Jahrmillionen so erhalten haben, dass noch etwas von ihrer ursprünglichen Form und Struktur erkennbar ist. Da ist zum Beispiel der Glyptodont , der das Titelbild von «Die Geschichte des Lebens in 100 Fossilien» ziert: Er sieht aus wie ein aufgeblasenes Gürteltier, hat die Grösse eines Kleinwagens und sein Panzer diente den Menschen als Behausung, bevor er vor rund 12‘000 Jahren ausstarb – wohl nicht zuletzt wegen der Bejagung durch den Menschen.
«Die Geschichte des Lebens in 100 Fossilien» ist ein Buch mit vielen schönen Fotografien und spannenden Erklärungen dazu. Es gelingt ihm, Interesse für ein Thema zu wecken, dem oft ein eher verstaubtes Image anhaftet. Die Hälfte des Inhalts besteht aus grossen Abbildungen von Fossilien, die jeweils eine Geschichte erzählen. Chronologisch aufgereiht ergibt dies dann die Geschichte des Lebens, soweit sie der Wissenschaft bekannt ist.
So geht das Buch auch zurück zu den ältesten bekannten Fossilien, den Stromatolithen , die durch die Aktivität von Mikroorganismen gebildet wurden – die ältesten von ihnen sind rund 3,5 Milliarden Jahre alt. Natürlich fehlen auch Klassiker wie der Archaeopterix nicht, jene Mischung aus Reptil und Vogel aus den Steinbrüchen im Bayerischen Solnhofen. Ein schönes Buch, um immer wieder mal drin zu schmökern und sich an der Vielfalt des Lebens zu erfreuen.
- Paul D. Taylor und Aaron O'Dea: «Die Geschichte des Lebens in 100 Fossilien» erscheint im Theiss Verlag
Tipp 3: Kennen Sie den schon?
Dem US-amerikanischen Journalisten und Essayisten Jim Holt gelingt mit «Kennen Sie den schon?» ein unterhaltsames Sachbuch, das manche Überraschung und noch mehr Pointen bereithält. Beispiele vom superkurzen Zweiwortwitz («Prätentiös? Moi?») bis zum seitenfüllenden Witz sorgen für vergnügliche Lektüre.
Der Streifzug durch die Geschichte des Witzes zeigt, dass der Witz einerseits stark geschichtlich und kulturell geprägt ist: Die bei uns geläufige Form hat sich erst in den letzten 150 Jahren herausgebildet. Andererseits wird seit der Antike immer wieder über die gleichen Themen gelacht: Sex, Scheisse und Schmähungen stehen ganz oben auf der Liste.
Holt fragt sich aber auch, warum wir überhaupt lachen. Geht es beim Witz um eine Machtdemonstration, erhebt man sich über andere, indem man über sie lacht? Funktionieren Witze nach dem Prinzip des Absurden, indem immer etwas Unerwartetes oder Unpassendes erzählt wird? Oder sind die Witze am Ende der Spiegel unserer verdrängten Phantasien und Begierden? Auch wenn der Stand der Forschung Holt keine abschliessenden Antworten liefert – uns bleibt, dass Witze womöglich mehr über den Erzähler und die Gesellschaft, in der er lebt verraten, als uns bewusst ist.
Apropos, der Meister des Unbewussten, Sigmund Freud, hat sich gemäss Holt intensiv mit dem Thema beschäftigt. Unter anderem soll er folgenden Witz erzählt haben: Treffen sich zwei Juden in der Nähe des Badehauses. Sagt der eine: «Hast Du ein Bad genommen?» Darauf der andere: «Wieso? Fehlt eines?»
- Jim Holt, «Kennen Sie den schon? Geschichte und Philosophie des Witzes» erscheint bei Rowohlt
Tipp 4: Image-Politur für Schnecken
Schnecken haben Besseres verdient als den schnöden Tod durch Scheren, Bierteiche und Schneckenkörner. Das wird selbst den verbissensten Schneckenhasserinnen und Schleimphobikern klar, wenn sie Florian Werners Buch «Schnecken» gelesen haben. Werner outet sich gleich zu Beginn als Molluskophiler und nimmt uns im Rahmen seiner kulturwissenschaftlichen Betrachtung unter anderem mit auf eine Schneckenfarm und an die Welt-Schneckenrenn-WM in England. Er philosophiert über Essen und Ekel, über Sex, Kunst und Tempo.
Das Schneckentempo ist eins der Hauptthemen in Werners Buch. Langsamkeit ist nicht nur in der heutigen «Beschleunigungsgesellschaft» ein No-Go. Schon im christlichen Mittelalter machte sich der Todsünde der Trägheit (acedia) schuldig, wer langsam war. Entsprechend hatte die Schnecke schon damals ein Image-Problem. Umso mehr als sie auch einer zweiten Todsünde bezichtigt wurde, nämlich der Wollust (luxuria). Denn die meist zweigeschlechtlichen Bauchfüsser haben einen Hang zu fantasiereichen und langwierigen sexuellen Spiele.
Überhaupt haben Schnecken eine aufregende Biologie. Allerdings eine, die uns oft verborgen bleibt. So klärt Florian Werner den Leser endlich darüber auf, was die Schnecke eigentlich in ihrem Haus treibt – so sie eines hat. Jede Schnecke wird mit einem Rohbau-Häuschen (Protoconch) geboren. Dieses baut sie dauernd weiter nach aussen an. Je grösser die Schnecke, desto weiter und zahlreicher die Windungen. Doch der Rückzugsraum bleibt gering. Im Haus verstaut die Schnecke nämlich alles, was existentiell ist für sie: einen Eingeweidesack mit Lunge, Leber, Herz und anderen lebenswichtige Organen, der über einen dünnen Hals mit dem grossen sichtbaren Fuss verbunden ist. Nimmt das Häuschen schaden, stirbt die Schnecke.
Mit Anekdoten wie diesen erschliesst uns Florian Werner mit viel Sprachwitz die 500 Millionen Jahre alte Kulturgeschichte eines Tiers, das der Mensch hübsch und abstossend zugleich findet. Auch wenn er dabei stark an der europäischen Kulturgeschichte kleben bleibt und die wenigen aussereuropäischen Beispiele eher herbeigezerrt wirken: Das Buch ist unbedingt lesenswert und eignet sich auch zum Schmökern. Denn wie alle Bändchen der Reihe «naturkunden» von Matthes & Seitz ist auch dieses sorgfältig bebildert und liebevoll gestaltet
- Florian Werner, «Schnecken. Ein Portrait», erschienen im Verlag Matthes & Seitz