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Mensch Schiff der legendären Franklin-Mission aufgetaucht

Seit eineinhalb Jahrhunderten gesucht und jetzt gefunden: Kanadische Forscher haben diese Woche bekannt gegeben, dass sie ein Schiffswrack der legendären Franklin-Expedition entdeckt haben. Die Suche nach der Nordwestpassage endete in einem Desaster.

Der kanadische Ministerpräsident Stephen Harper lud diese Woche zu einer lange erwarteten Medienkonferenz. Es ging nicht um Politik, es ging um Geschichte. Harper verkündete , dass kanadische Forscher ein Schiffs-Wrack der legendären Franklin-Expedition gefunden hätten: «J’ai une très bonne nouvelle. Wir können Ihnen eine sehr gute Nachricht überbringen. Wir haben eines der beiden Franklin-Schiffe gefunden.»

Über 160 Jahre erfolglose Suche

Die 130 Männer der Franklin-Expedition waren 1845 von London aus aufgebrochen, um im Auftrag der britischen Admiralität eine eisfreie und schiffbare Nordwestpassage in der kanadischen Arktis zu finden. Einen Seeweg, der den lukrativen Warenfluss zwischen Europa und Asien beschleunigen sollte. Doch die Erkundungsmission endete mit dem qualvollen Untergang der ganzen Mannschaft.

Eineinhalb Jahrhunderte endeten unzählige Suchaktionen, ohne dass die Expeditionsschiffe gefunden wurden. Warum es diesmal geklappt hat, hat zwei Gründe: die moderne Technik und der Klimawandel.

Als Folge des Klimawandels ist die Nordwestpassage nämlich seit kurzem teilweise eisfrei und für Schiffe befahrbar. Die kanadischen Forscher konnten also im Prinzip problemlos an den Ort gelangen, wo die beiden Schiffe der Franklin-Expedition zwei Winter und einen Sommer lang festgefroren waren und von wo aus sich die Männer, die noch lebten, schliesslich zu Fuss aufgemachten, um aufs kanadische Festland zu gelangen.

Wrack in erstaunlich gutem Zustand

Nur war nicht bekannt, wo die Schiffe seinerzeit steckengeblieben waren und wohin sie später bei Tauwetter im Treibeis davon gedriftet sind. Es waren vermutlich Hunderte Kilometer.

Modernste Technik machte es jetzt möglich, eines der Schiffswracks am Meeresboden aufzuspüren. Die kanadischen Forscher sind seit 2008 im Auftrag der Regierung immer wieder zur Suche aufgebrochen und haben das Schiff offenbar am vergangenen Sonntag mit einem U-Boot aufgespürt.

Sonarbild mit einem Wrack
Legende: Die «HMS Erebus» oder die «HMS Terror»? Das Wrack ist gut erhalten. Doch welches der beiden Schiffe der Expedition gefunden wurde, ist unklar. Reuters

Die Archäologen haben das Schiff in erstaunlich ordentlichem Zustand vorgefunden. Zwar ist es in sich zusammengesunken. Holz und Eisenteile liegen übereinander am Boden. Die Sonaraufnahmen zeigen aber das Bild eines perfekt geordneten Umrisses. Wie ein Weberschiffchen ruht das Wrack auf dem Meeresboden. Es ist noch unklar, ob es sich beim Fund um die «HMS Erebus» oder die «HMS Terror» handelt. Es ist auch nicht bekannt, was, abgesehen von den Schiffsüberresten, die vergangenen Jahrzehnte überdauert hat. Doch hoffen die kanadischen Wissenschaftler, dank des Schiffs mehr über das Schicksal der Mannschaft und den Verbleib des zweiten Schiffs zu erfahren.

Glamouröse Expedition mit unklarem Ende

Vieles ist bekannt über den glamourösen Start des Unternehmens, wenig jedoch über sein Ende. Die Expedition verlässt am 19. Mai 1845 unter der Leitung des Kapitäns Sir John Franklin England. Die Begeisterung ist gross. Das 19. Jahrhundert ist die hohe Zeit der englischen Polarforschung. Das öffentliche Interesse an der fernen Arktis und den Reiseberichten der Abenteurer ist enorm. Und England ist ein stolzes und reiches Land. Die Wiege der industriellen Revolution. Niemand zweifelt am Erfolg der Mission, die der Kolonialmacht England den kürzesten Weg zeigen soll, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet.

Die Rümpfe der «Erebus» und der «Terror» sind mit Stahl verstärkt. Ausgerüstet mit Dampfmaschinen, Schraubenantrieb, Heizungs- und Entsalzungsanlagen.

An Bord alles, was das Viktorianische England an Luxus bereithält. Es ist eine lange Liste: Porzellangeschirr, Silberbesteck, geschliffene Gläser, 1‘200 Bücher, Schreibtische aus Mahagoni, Musikinstrumente und vieles mehr. Im Bauch der Schiffe lagert auch Nahrung für drei Jahre, darunter 45 Tonnen damals ganz neu entwickelter Konservendosen mit Fleisch, Gemüse und Suppe zum Inhalt, 40‘000 Liter Zitronensaft gegen Skorbut, 68 Tonnen Mehl, elf Tonnen gepökeltes Fleisch, ein Dutzend lebende Ochsen, 17 Tonnen Kekse, 12 Tonnen Zucker, 4 Tonnen Schokolade, dreieinhalb Tonnen Tabak, eine Tonne Tee.

Porträt von Sir John Franklin
Legende: Polarforscher Sir John Franklin: Im Mai 1845 brach er zu seiner letzten Expedition auf – kein Teilnehmer kehrte lebend zurück. Er starb am 11. Juni 1847. Imago

Die beiden Schiffe sind bis unters Deck beladen und liegen schwer im Wasser. Was sie jedoch nicht an Bord haben, sind überlebenswichtige Dinge wie Schneebrillen oder Waffen und Geräte, mit denen die Männer Wildtiere jagen oder Fische hätten fangen können. Was fehlt, sind auch Rettungspläne.

Tödliche Konservendosen

Schon nach neun Wochen verliert sich der Kontakt mit der Alten Welt. Und nach neun Monaten beginnt ein grausames Sterben. Die ersten Todesopfer werden noch begraben. Ihre Leichen überdauern praktisch unversehrt im gefrorenen Boden von Beechey Island. Ein kanadisch-amerikanisches Forscher-Team kommt in den 1980er-Jahren der Todesursache auf die Spur. Die drei Männer sind mit Blei vergiftet.

In der Tat weisen die noch immer zu Hunderten um dieses erste Winterlager verstreuten Konservenbüchsen Fabrikationsfehler auf. Die von Hand gefertigten Dosen sind unzureichend verlötet. Lötblei ist bei der Herstellung auf der Innenseite der Büchsen heruntergetropft. Die Nahrung ist kontaminiert und verdorben. Die Teilnehmer vergiften sich Bissen für Bissen und Schluck für Schluck. Mit Blei, vermutlich aber auch mit Botulinumtoxin. Ein Gift, das von Bakterien produziert wird, die unter prekären hygienischen Bedingungen beim Abfüllen in die Büchsen gelangt sind.

Geistige Verwirrung führt ins Verderben

Die schleichende Vergiftung – die neben körperlichem Versagen zu geistiger Verwirrung führt – erklärt auch einige der zunächst rätselhaft anmutenden Verhaltensweisen der Expeditions-Teilnehmer. Zum Beispiel warum die Männer, die nach drei Jahren die blockierten Schiffe verlassen, um Festland zu finden, offensichtlich immer zielloser herumirren. Warum sie nutzlose Luxusgüter wie Gardinenstangen, Taschenuhren und seidene Taschentücher übers Eis schleppen. Und warum sie gegeneinander gewalttätig werden. Davon zeugen die Funde späterer Suchexpeditionen und die Aussagen von einheimischen Inuit.

Die Wahrheit wollte niemand wissen

Die Inuit berichten, dass sie versprengte Franklin-Leute in der Ferne hätten vorbeiziehen, hinfallen und sterben sehen. Manche seien beerdigt worden, andere nicht. John Rae, einem Forscher der Hudson Bay Company geben sie zu Protokoll, einen Rastplatz der Fremden gefunden zu haben. Der Platz sei übersät gewesen mit den verstümmelten Leichen von 35 Männern. Zersägte Knochen hätten herumgelegen, mit Fleisch gefüllte Stiefel, gekochtes Menschenfleisch.

Dieser Bericht über Kannibalismus unter Briten, unter zivilisierten Männern also, löst im England des 19. Jahrhunderts Entsetzen aus. Das konnte nicht wahr sein. Der Überbringer der Nachricht bleibt Zeit seines Lebens stigmatisiert. Rae wird als einer der wenigen Arktis-Forscher seiner Zeit nicht in den Adelsstand erhoben.

Macht und Geld – damals wie heute

Die Archäologen, die jetzt offenbar eines der Schiffe gefunden haben, haben die letzten sechs Jahre im Auftrag der der kanadischen Regierung gesucht. Die kanadische Regierung will mit dieser Aktion nicht nur das Rätsel um das Franklin-Desaster lösen. Sie will auch ihre Präsenz im arktischen Meeresgebiet nördlich von Kanada markieren.

In dieser Region sind die Souveränitätsrechte über Schiffswege, vor allem aber auch über die dort reichlich vorhandenen Erdölvorkommen, in weiten Teilen noch ungeklärt. Es geht also auch heute, wie damals als die Franklin-Mission startete, neben dem Abenteuer auch um die Sicherung von Macht und Geld.

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