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Ein dicker Aktenordner auf einem Schreibtisch im Gerichtssaal.
Legende: Forensische Gutachten entscheiden, ob ein Straftäter als rückfällig eingestuft wird. Doch sie sind fehleranfällig. Colourbox

Mensch Wie gut sind forensische Gutachten?

Die Ermordung einer jungen Genfer Sozialtherapeutin löst erneut Kritik am Umgang mit gefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern aus. Häufig spielen dabei psychiatrische Gutachten eine wichtige Rolle. Eine neue Studie aus den USA zeigt nun, wie fehleranfällig solche Gutachten sind.

Wird ein Sexualstraftäter nach Absitzen seiner Strafe wieder rückfällig werden? Das ist eine Frage, die forensische Gutachter beantworten müssen. Doch wie gut können sie das? «Die Qualität ist noch immer sehr unterschiedlich», sagt Josef Sachs, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für forensische Psychiatrie. Die Qualität habe sich aber in den letzten Jahren stark verbessert. Das zeige zumindest seine persönliche Erfahrung. Doch wirklich erforscht wurde die Qualität von Gutachten in der Schweiz bisher kaum.

Gutachter sind beinflussbar

Nun zeigt aber neue Forschung aus den USA, dass forensische Gutachter erstaunlich leicht beeinflussbar sind. Der Psychologe Daniel Murrie von der Universität Virginia hat rund hundert Gutachter gebeten, die Rückfallgefahr von Sexualstraftätern anhand von Falldossiers zu beurteilen. Was die Gutachter nicht wussten: Sie erhielten alle dieselben vier Fälle. Zudem wurde die eine Hälfte scheinbar von der Verteidigung angeheuert, die andere Hälfte von der Anklage.

Resultat: Die Gutachter, die glaubten, für die Verteidigung gearbeitet zu haben, schätzten die Rückfallgefahr signifikant weniger hoch ein als die Gutachter der Gegenseite.

Nur bedingt auf Schweiz übertragbar

Das Resultat erstaunt den forensischen Psychiater Josef Sachs nicht. Allerdings seien die Ergebnisse aus den USA nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragbar: «In der Schweiz sind Parteigutachten selten. Meistens werden Gutachten von einer neutralen Institution – etwa vom Gericht – in Auftrag gegeben».

Doch Josef Sachs hält die Resultate der Studie dennoch für relevant. «Auch wenn wir keine Parteigutachten machen, gibt es bei jedem Psychiater – selbst wenn er das selbst nicht zugeben würde – eine gewisse Voreingenommenheit, die nie ganz ausgeschaltet werden kann.»

Verzerrte Studienergebnisse

Dies gilt übrigens bereits bei der Auswahl der Methode, mit der ein Rückfallrisiko bestimmt wird. In Studien schneidet eine Methode nämlich doppelt so gut ab, wenn sie vom Erfinder geprüft wird, als wenn unabhängige Wissenschaftler sie prüfen. Das zeigt der Psychiater Jay Singh vom Psychiatrisch-Psychologischen Dienst des Kantons Zürich in einer ebenfalls gerade erschienenen Übersichtsstudie.

Links zu den Studien

Das Urteil von Gutachtern kann also verzerrt sein. Umso wichtiger ist deshalb Transparenz darüber, wie die Gutachter zu ihren Schlüssen gekommen und wie zuverlässig diese Schlüsse sind. Immerhin berechnete Jay Singh in einer anderen Studie, dass die Rückfallprognosen mit anerkannten Methoden international im Schnitt zu rund 90 Prozent richtig liegen, wenn sie einem Täter ein geringes Rückfallrisiko attestieren. Nur noch auf 40 Prozent kommen die Prognosen, wenn sie einem Täter ein hohes Rückfallrisiko bescheinigen.

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht

Doch auch gute Prognosen werden die Kritik am Umgang mit Sexualstraftätern kaum zum Verstummen bringen, meint Josef Sachs: «Die Öffentlichkeit will keine Prozente, sie will wissen: ‹Wird er rückfällig oder wird er es nicht?›».

So unerträglich es auch ist: Auch durch noch bessere Gutachten – die zweifelsohne nötig sind – werden Gewalt- oder Sexualstraftäter nie vollständig berechenbar werden. Alle anders lautenden Versprechen sind unseriös.

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