SRF: Wir schauen gerne traurige Filme, lieben melancholische Musik und Malerei. Das alles wecke positive Gefühle in uns, sagt Ihre Studie. Das klingt paradox. Wie lässt sich das erklären?
Winfried Menninghaus: Negative Gefühle sind ideale Verbündete für die Kunstwerke. Weil sie die Kunstwerke in die Lage versetzen, das zu leisten, was sie wollen: uns packen, uns intensiv emotional bewegen und in Erinnerung bleiben.
Diese Idee empirisch zu testen ist kompliziert. Ein Beispiel: Wir haben zwei Muskeln, an denen wir fortlaufend unseren Affektzustand messen können. Kurz gesagt: Der Lachmuskel zeigt uns immer an, ob Sie lächeln oder nicht, wie positiv Sie gestimmt sind. Der Stirnrunzelmuskel zeigt an, wie negativ Sie gestimmt sind.
Der Clou unserer Befunde ist: Wenn Sie ästhetische Lust empfinden, gehen beide Muskeln nach oben. Wir haben eine parallele Intensivierung positiver und negativer Gefühle. Das heisst: Die negativen Gefühle sind sozusagen das Salz in der Suppe.
Das heisst Sie haben ein Rezept für gute Kunst?
Unsere Theorie sagt auf jeden Fall: Nur schöne Bilder mit schönen Objekten funktionieren nicht. Wir finden vielmehr: Wenn parallel positive und negative Gefühle empfunden werden, begünstigt das die Intensität unserer Wahrnehmung.
Sie beschreiben das Phänomen bei der Kunst. Gilt es auch im realen Leben?
Es gibt einen Hauptunterschied: Wenn uns Musik nicht gefällt, können wir sie abschalten. Das geht in der Realität nicht. Wenn Sie in der Realität von einem Monster attakiert werden, haben Sie schon etwas andere Gefühle.
Aber unsere Daten zeigen, dass es im täglichen Leben ähnliche Phänomene gibt. Zum Beispiel bei emotional bewegenden Beerdigungen. Die sind nicht nur negativ.
Das Gespräch führte Vanda Dürring.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 10.12.2017, 17.08 Uhr