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Pilotstudie zum Down-Syndrom Ein Hormon könnte Menschen mit Down-Syndrom helfen

Besser zählen, Würfel zeichnen oder Buchstaben behalten: Regelmässige Dosen eins Hormons könnten Menschen mit Down-Syndrom helfen, ihre kognitive Leistung zu verbessern. So eine Pilotstudie aus Frankreich und der Schweiz.

Etwa eines von 800 Neugeborenen kommt mit einer Trisomie 21 zur Welt, die zum Down-Syndrom führt. Es ist der häufigste genetische Defekt, der bei der Zeugung eines Kindes passieren kann. Vom Down-Syndrom Betroffene sind kognitiv eingeschränkt, im Alter zunehmend.

Doch möglicherweise kann man dagegen künftig etwas tun: Ein Hormon könnte Menschen mit Down-Syndrom helfen, ihre geistigen Kapazitäten zu erhalten und gar ein Stück weit zu verbessern. Das haben Forschende aus Lille und Lausanne in Studien mit Mäusen und einer klinischen Pilotstudie entdeckt. Ihre Arbeiten wurden nun im Fachmagazin Science veröffentlicht.

Down-Syndrom-Mäuse mit Hormonen behandelt

Konkret geht es um das Gonadotropin-Releasing-Hormon, kurz GnRH. Eigentlich ist GnRH für die menschliche Fortpflanzung zentral. Doch seit Kurzem weiss man, dass das Hormon auch bei anderen Hirnfunktionen eine wichtige Rolle spielt, so auch beim Denken. Ein Neuro-Forschungsteam der Université de Lille wollte dies genauer untersuchen. Mäuse wurden gentechnisch so verändert, dass die Tiere drei statt der üblichen zwei Kopien des Chromosoms 21 hatten. Also Mäuse mit Trisomie 21.

Das Team entdeckte, dass das Chromosom 21 für GnRH extrem wichtig ist: Es steuert nämlich – normalerweise – dessen Produktion. Und zwar über bestimmte Genabschnitte, sogenannte microRNA. Bei einer Trisomie 21 aber sind diese microRNA-Abschnitte fehlerhaft. Die Hormonproduktion stottert – oder kommt ganz zum Erliegen.

Auch bei Menschen möglich?

Von diesem Hormondefizit hatten die Mäuse deutliche Symptome: Sie benahmen sich seltsam, reagierten nicht auf äussere Reize. Führten ihnen aber die Forscher das Hormon äusserlich wieder zu, dann erholten sich die Tiere kognitiv, das heisst: Ihr Verhalten normalisierte sich.

Diese Resultate waren für das Team so frappant, dass es sich mit dem Universitätsspital CHUV in Lausanne in Verbindungen setzte. Dort behandelt die Endokrinologin Nelly Pitteloud Patienten mit angeborenem GnRH-Defizit. Über eine Pumpe am Oberarm wird solchen Patienten das Hormon ins Blut abgegeben.

An Männern getestet

Das Team aus Lille schlug vor, die gleiche Therapie bei Patienten mit Down-Syndrom zu testen, um so möglicherweise deren geistigen Kapazitäten zu boosten. Pitteloud betraute ihre Doktorandin Maria Manfredi-Lonzano mit dem Versuch, worauf diese sieben Probanden mit Down-Syndrom rekrutierte, im Alter zwischen 20 und 50 Jahren.

Während sechs Monaten erhielten die Männer das Hormon via Oberarm in den Körper gepumpt, in der gleichen Dosis, die der Körper normalerweise von selbst produziert. Vor und nach der Studie wurden sie  neuropsychologisch getestet. Auch MRI-Bilder des Hirns wurden gemacht.

Kognitive Leistungen wurden verbessert

Die Ergebnisse hätten sie erstaunt, sagt Nelly Pitteloud: Sechs der sieben Probanden hätten ihre kognitiven Leistungen um 20 bis 30 Prozent verbessert. Sie konnten in den Tests besser zählen, Anweisungen folgen, Wörter behalten, Buchstaben erkennen, einen Würfel zeichnen, sich zeitlich und räumlich besser orientieren.

Die Resultate seien mit Vorsicht zu geniessen, betont die Professorin des Unispitals Lausanne. Ob sich GnRH tatsächlich als Therapie für Down-Syndrom-Betroffene etablieren könne, müsse eine grössere, placebo-kontrollierte Studie erst beweisen. Dies sei nun der nächste Schritt.

Wissenschaftsmagazin, 03.09.2022, 12:40 Uhr

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