«Rasse» ist ein heikler Begriff im Zusammenhang mit Menschen. Heute herrscht Konsens: «Rasse» ist ein soziales Konstrukt, der Begriff biologisch nicht haltbar. Unter menschlichen Populationen gibt es keine so grossen Unterschiede, dass man von Rassen sprechen könnte.
An diesem Dogma rüttelt der US-amerikanische Genetiker David Reich in einem Artikel in der New York Times : In den letzten 20 Jahren, so Reich, habe die Forschung gezeigt, dass genetische Unterschiede zwischen verschiedenen Menschengruppen doch grösser seien als angenommen. Sie bestimmten nicht nur die Hautfarbe, sondern beispielsweise auch die Körpergrösse oder die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten.
Das Festhalten an diesem Dogma und das Schweigen über genetische Unterschiede biete Raum für pseudowissenschaftliche Stimmen, schreibt Reich. In den USA hat dies einen Aufschrei und eine Debatte ausgelöst.
Diese Debatte sei eine gute Reaktion auf den Artikel, sagt Evolutionsbiologe Claus Wedekind von der Universität Lausanne.
SRF: Können Sie die heftigen Reaktionen auf David Reichs Aussagen verstehen?
Claus Wedekind: Ich verstehe, dass man auf eine Diskussion zum Thema «Rasse» heftig reagiert. Das Thema ist mit Krieg, Sklaventum und Völkermord assoziiert, mit der Diskriminierung verschiedener Gruppen.
Es ist gut, dass Menschen darauf empfindlich reagieren und dann eine entsprechende Diskussion starten.
Die heftige Reaktion ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt.
Was hatte David Reich denn vor? Wollte er provozieren? Oder war es ein Versehen – und er ist ins Fettnäpfchen getreten?
Reich ist ein ausgewiesener Experte, er hat eine wichtige Diskussion angeregt. Er diskutiert zwar Unterschiede – aber das sollte nicht automatisch zu Rassismus oder Diskriminierung führen.
Es sollte möglich sein, dass man diese Diversität, die tatsächlich besteht, offen diskutieren kann – und zwar ohne Vorurteile. Im Sinne von: Es lebe die wunderbare Vielfalt.
Wurde Reich falsch verstanden?
Ja. Sein Artikel ist eigentlich klar. Ich habe keinen Punkt gesehen, den ich schwierig fand. Die heftige Reaktion, die jetzt stattfindet, ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt.
Der Artikel dreht sich um neue Erkenntnisse in der Genetik der letzten 20 Jahre. Machen diese tatsächlich das Konzept der Rasse wieder salonfähig – nicht als ideologisches Konstrukt, sondern als biologisch begründbare Tatsache?
Ich glaube nicht. Den Begriff «Rasse» sollte man in der Tier- und Pflanzenzucht benutzen. In der biologischen Forschung wird der Begriff kaum noch benutzt. Und beim Menschen haben wir in den letzten Hunderten oder Tausenden von Jahren eine so starke Durchmischung erlebt, dass der Begriff der «Rasse» biologisch nicht mehr wirklich funktioniert. Er ist nur noch ein soziales Konstrukt.
Gibt es denn so etwas wie Grenzen oder Denkverbote in der genetischen Forschung?
Forschung bewegt sich immer in einem festgelegten Rahmen. Wir haben ethische Richtlinien, an die wir uns halten müssen und die vom Gesetzgeber vorgegeben sind. Innerhalb dieses Rahmens haben wir sehr viel Freiheiten – und ich finde, das braucht es auch. Wir sollten vorurteilslos forschen können.
Man sollte sich als Forscher Gedanken machen, was die möglichen Konsequenzen eines möglichen Resultats sind.
David Reich spricht selbst Grenzen an: Er sagt zum Beispiel, dass es problematisch wird, wenn es nicht mehr um Anfälligkeiten für bestimmte Krankheiten geht, sondern um Intelligenz oder um das Verhalten.
Ich gebe ganz ehrlich zu: Vor bestimmten Resultaten hätte ich im derzeitigen Kontext zu viel Angst, um die entsprechende Forschung zu machen. Man sollte sich als Forscher grundsätzlich Gedanken machen, was die möglichen Konsequenzen eines möglichen Resultats sind.
Welche Art von Missverständnissen könnten produziert werden? Und wie sollte man vorgehen, um die Gefahr dieser Missverständnisse klein zu halten? Das finde ich grundsätzlich wichtig.
Das Gespräch führte Sarah Herwig.