Ein Konzert zu besuchen, ist nicht nur ein musikalisches Erlebnis. Ein Forscherteam um den Berner Psychologen Wolfgang Tschacher hat beobachtet: Wenn Menschen gemeinsam einem Streichquintett lauschen, schafft das auch eine körperliche Verbindung zwischen ihnen.
«Wir haben beobachtet, dass die Herzrate und die Atemfrequenz aller Zuhörer über das Konzert hinweg positiv miteinander synchronisiert waren. Dasselbe gilt für die Hautleitfähigkeit, die etwas über den Gemütszustand aussagt.»
132 verkabelte Musikliebhaber
Für ihre im Journal «Scientific Reports» veröffentlichte Studie verkabelten Wolfgang Tschacher (emeritierter Professor an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bern) und sein Team 132 Konzertbesucherinnen und -besucher mit tragbaren Sensoren, während diese einem Streichquintett zuhörten. Das Konzert bestand aus drei klassischen Musikstücken von Beethoven, Brett Dean und Brahms.
Offene Menschen synchronisieren sich leichter
Neben Herzschlag und Hautleitfähigkeit wurden auch die Bewegungen der Konzertbesucher mit speziellen Kameras überwacht. Zudem füllten die Teilnehmenden vor und nach dem Konzert Fragebögen zu ihrer Persönlichkeit und Stimmung aus.
«Dabei haben wir gesehen, dass Zuhörer mit angenehmen oder offenen Wesenszügen leichter durch die Musik synchronisiert wurden, als Konzertbesucher mit eher neurotischem oder extravertiertem Charakter», so Tschacher.
Auch Yoga schafft eine unsichtbare Verbindung
Insgesamt zeigen die Ergebnisse: Das gemeinsame Erleben eines Konzerts schafft eine unsichtbare Verbindung zwischen den Menschen, derer sich die Beteiligten aber nicht bewusst sind.
Das könne erklären, warum Veranstaltungen mit Musik so beliebt sind, sagt Psychologe Tschacher: «Die Menschen synchronisieren sich auch bei anderen Aktivitäten: Bei Karnevalsumzügen beispielsweise, oder auch beim gemeinsamen Sport oder beim Yoga.» Diese Synchronisation versetze die Menschen in eine gute Stimmung, und bei Konzerten schweisse sie das Publikum auch ein bisschen zusammen.
Gemeinsam ist man stärker
Dass Menschen ihre Körperfunktionen in bestimmten Situationen gleichschalten können, habe aber auch einen tieferen evolutionsbiologischen Sinn, so Tschacher weiter: «Die Herz- und Atemfrequenz aufeinander abstimmen zu können, ist in der Geschichte der Menschheit womöglich entstanden, um Gruppen besser auf gefährliche Situationen vorzubereiten oder ihren Zusammenhalt zu stärken.» Dieses Phänomen der Schwarmintelligenz ist im Tierreich weit verbreitet: Auch Fische oder Vögel organisieren sich in grossen Gruppen und können ihre Feinde als Kollektiv effektiv abwehren.
Sich gegen Räuber zu wehren, ist bei einem Konzertbesuch zwar glücklicherweise nicht nötig. Doch gemeinsam können Menschen leichter in die Musik abtauchen, sagt Wolfgang Tschacher: «Ich habe die Vorstellung, dass diese Synchronie des Publikums etwas darüber aussagt, wie stark die Menschen mitgehen mit der Musik und wie stark ihre Immersion ist.»