An kaum einem Ort dieser Welt leben Menschen so abgelegen wie auf der polynesischen Insel Rapa Nui. Über 1900 Kilometer sind es bis zur nächsten bewohnten Insel, fast 4000 bis ans südamerikanische Festland.
Entsprechend viele Mythen ranken sich um die Insel mit den imposant riesigen Steinstatuen sowie um das Schicksal ihrer Menschen. Dazu gehört die Theorie, wonach die Bewohner ihre Insel einst ökologisch übernutzt und sich in einen Bevölkerungskollaps manövriert hätten. Krieg um die spärlichen Ressourcen und Kannibalismus inklusive. Eine Theorie ohne wissenschaftliche Basis, die bis heute zirkuliert.
Gene erzählen die wahre Geschichte
Ein internationales Team von Evolutionsgenetikerinnen und -genetikern
widerlegt nun
die Spekulationen über den selbstverschuldeten Kollaps.
Rapa Nui oder Osterinsel – Es kommt drauf an, woher man kommt
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«Wir gaben dem Land den Namen Osterinsel. Denn es wurde von uns am Ostertag entdeckt», schreibt Jakob Roggeveen am 5. April 1722 ins Logbuch.
Der niederländische Seefahrer und seine Mannschaft sind eigentlich auf der Suche nach der «Terra australis». Sie sind die ersten Europäer, die die Insel betreten. Sie sind erstaunt über die Hunderten von Monolithen in abstrahierter Menschengenstalt, die die Küste säumen: «Wir konnten nicht verstehen, wie es möglich ist, solche Bildnisse zu errichten, 30 Fuss hoch und entsprechend dick!»
Die Inselbewohnerinnen und -bewohner nennen sich selbst und ihre Sprache Rapanui. Den Namen Rapa Nui soll die Insel erst erhalten haben, nachdem weisse Sklavenjäger aus Peru, sogenannte Blackbirder, die Insel heimgesucht hatten. Als Blackbirding oder Blackbird catching wird die Verschleppung und Versklavung von Inselbewohnerinnen und -bewohner des Südpazifiks ab Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnet. Da auch der König, dessen Sohn und die Ritualpriester den Blackbirdern zum Opfer fielen, ging mit ihnen auch sehr viel Wissen über die Geschichte und Kultur der Rapanui verloren.
Die Analysen zeigen: Es gab zwar einen Bevölkerungseinbruch. Aber nicht wie kolportiert vor der Ankunft der ersten Europäer im Jahr 1722. Sondern später, sagt Co-Autorin Anna Sapfo Malaspinas von der Universität Lausanne. Nämlich im späten 19. Jahrhundert, als weisse Sklavenjäger aus Peru und ansteckende Krankheiten wie die Pocken die Menschen auf Rapa Nui heimsuchten.
Sklavenjäger und die Pocken brachten den Kollaps
Ein Drittel der Inselbewohner wurden in die südamerikanischen Plantagen verschleppt. Lediglich 110 Menschen blieben übrig. Es war also keine ökologische Katastrophe, sondern eine menschliche, die die Bevölkerung von Rapa Nui dezimierte.
Zuvor waren die Menschen gut mit den rauen Bedingungen auf der Insel zurechtgekommen und hatten sich an die sich verändernde Natur angepasst. Sie haben Ackerbaumethoden entwickelt, die das Land vor Erosion schützen und 3000 Menschen zu ernähren vermochten.
Riesige Steinmonumente und schrumpfende Palmenwäler
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Als vor 800 Jahren die ersten polynesischen Siedler auf Rapa Nui ankamen, standen dort noch sehr viele Bäume. Heute gibt es auf Rapa Nui vor allem Grasland. Denn mit den ersten Menschen kamen auch die ersten Ratten auf die Insel. Die Tiere ernährten sich von den Samen der Bäume und so wurde die Insel über viele Generationen hinweg allmählich entwaldet. Das koloniale Narrativ, die Bewohner hätten auch noch die letzten Bäume abgeholzt, um die riesigen, aus den Felsen geschlagenen Steinfiguren auf Baumstämmen an die Küste zu transportieren, stimmt also nicht.
Ursprünglich standen wohl über 1'000 Statuen (Moai) auf Rapa Nui. Die Forschung konnte unterdessen zeigen, dass die Statuen sehr wahrscheinlich gar nicht auf Baumstämmen transportiert wurden, sondern sozusagen aufrecht
stehend «hingelaufen» wurden
. Man hat Seile um die durchschnittlich 12.5 Tonnen schweren Figuren herum gebunden, sie von links nach rechts gewippt und damit an die vorgesehene Stelle geruckelt. Aber selbst wenn man Baumstämme benutzt hätte, hätte man nie so viele gebraucht, dass deswegen die ganze Insel entwaldet worden wäre.
Kathrin Nägele, Archäogenetikerin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, freut sich über die genetische Studie. Diese bestätige, was
Jahrzehnte archäologischer Forschung
bereits nahelegten
. «Ich hoffe, dass die Studie dazu beitragen kann, die Erzählung von den Inselbewohnern, die sich um ihre eigenen Grundlagen brachten, endlich nicht mehr benutzt wird.»
Die Reise nach Amerika
Die Gene der untersuchten Ahnen verraten aber noch mehr: Die Menschen von Rapa Nui hatten zwischen 1250 und 1430 Kontakt mit den Indigenen Amerikas. Das ist für Kathrin Nägele der Knaller der Studie.
Der Kontakt mit den Europäern ist wie überall nicht besonders freundlich abgelaufen.
Offen ist, wer zu wem reiste. Nägele vermutet, dass es die Inselbewohner waren, die es wagten: «Die Vorfahren der Rapanuianer waren wahnsinnig gute Seefahrer. Wenn sie es geschafft haben, aus dem Westpazifik bis nach Rapa Nui zu segeln, schafften sie auch die Reise ans amerikanische Festland und zurück.»
Die Kunst, Polynesien zu besiedeln
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Die Seefahrer und -fahrerinnen, die Polynesien besiedelten, vollbrachten eine unvorstellbare Leistung. Sie haben lange Strecken zurückgelegt – Hunderte bis Tausende von Kilometern, um auf die nächstgelegenen Inseln zu kommen.
Über die Boote, die es dafür brauchte ist wenig bekannt. Klar ist, die grössten müssen sehr gross gewesen sein und es müssen sehr viele Menschen darauf Platz gehabt haben. Die Boote bestanden jeweils aus zwei kanuartigen Konstruktionen, die mit einer Plattform verbunden wurden – ähnlich einem Katamaran. Darauf stand ein sogenanntes Krebsscherensegel. Die Bezeichnung kommt nicht von ungefähr. Denn seine Form gleicht einer Krebsschere. Mit diesen Kanus, die sehr seetauglich waren, segelten die Polynesier Tausende von Kilometern über den Pazifik. So haben die ersten Seefahrerinnen sich wohl den Pazifik erschlossen. Sie segelten gegen den Wind und gegen die Strömung. Denn sollten sie keine Insel und kein Festland entdecken, konnten sie ganz einfach mit dem Wind und mit der Strömung wieder nach Hause finden.
Die Menschen auf Rapa Nui, waren nicht nur begnadete Seefahrer, sondern auch talentierte Steinmetze. Davon zeugen die imposanten Statuen, die Moai, die mit grossen Augen aufs Meer hinausblicken. Wen sie verkörpern und welche Funktion sie hatten, ist nicht überliefert.
Gut möglich, dass sie Beschützer waren. Denn als die ersten Europäer auf die Insel kamen, schauten die Steinfiguren vermutlich nicht aufs Meer, sondern ins Innere der Insel. «Der Kontakt mit den Europäern ist wie überall nicht besonders freundlich abgelaufen», so Kathrin Nägele «die Beschützer wurden vielleicht umgedreht, um darüber zu wachen, dass die Weissen nicht noch mal kommen.»
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