Zur weiblichen Genitalbeschneidung hat Christina Pallitto eine unmissverständliche Haltung: «Egal, wer den Eingriff durchführt: Er richtet Schaden an.» Schaden physischer und psychischer Art, Schaden für die sexuelle Gesundheit, ein Leben lang, führt die Wissenschaftlerin aus.
Seit neun Jahren leitet Christina Pallitto das Programm der Weltgesundheitsorganisation WHO zu weiblichen Beschneidungen.
Der Effort der WHO, die Praxis in den betroffenen Ländern einzudämmen, mache sich insgesamt bezahlt, sagt die Amerikanerin; in vielen Ländern seien die Betroffenen-Zahlen stark zurückgegangen.
Etwas anderes hingegen bereitet Pallitto zunehmend Sorgen: «Wir haben Daten, dass Beschneidungen vielerorts medikalisiert, sprich: von einer Hebamme oder einer Krankenschwester durchgeführt werden.» Im Schnitt trifft dies eines von vier beschnittenen Mädchen weltweit. In sieben Ländern ist die Beschneidung auffällig stark medikalisiert, nämlich im Sudan, in Ägypten, Indonesien, Guinea, Nigeria, Kenia und Djibouti.
Vermeintliche «Schadensbegrenzung» – und das Geld
Pallitto hat in einer Studie untersucht, was Hebammen oder Krankenschwestern oder – im Fall von Ägypten – sogar Ärztinnen dazu bewegt, Genitalbeschneidungen vorzunehmen. Ein Motiv sei vermeintliche Schadensbegrenzung: «Sie sehen weibliche Beschneidung als etwas Unvermeidbares, das von der Gemeinschaft eingefordert wird. Und sie denken, sie als Fachpersonen würden es hygienischer machen als die traditionellen Beschneiderinnen.»
Ein anderes Hauptmotiv sei das Geld: «Für eine Hebamme oder Krankenschwester kann es ziemlich lukrativ sein, auf diese Weise ihr Einkommen aufzubessern.»
Wenn Fachpersonen junge Mädchen beschneiden, dann vermittelt das den Eindruck, als sei dies eine legitime Praxis. Dabei ist sie in den meisten Ländern verboten.
In afrikanischen Gemeinschaften geniesst die Dorfschwester oder Hebamme hohes Ansehen – deswegen werden sie auch für Beschneidungen aufgesucht.
Gemäss Christina Pallitto ist dies fatal: «Wenn Fachpersonen junge Mädchen beschneiden, dann vermittelt das den Eindruck, als sei dies eine legitime Praxis. Dabei ist sie in den meisten Ländern verboten.» Es gebe auch keinen medizinischen «Nutzen», wenn Profis sie durchführten, im Gegenteil: «Studien zeigen, dass dann oft tiefer, radikaler geschnitten – und der Schaden grösser wird.»
Professioneller Eid: «nicht schaden»
Die WHO hat bei der Mädchenbeschneidung eine Nulltoleranz, und sie setzt alles daran, auch die Medikalisierung der Praxis zu beenden. «Mädchen und junge Frauen an den Genitalien zu beschneiden, verstösst gegen die Menschenrechte», betont Christina Pallitto.
Die WHO hat neue Leitlinien mit einem Verhaltenskodex herausgegeben, der Gesundheitsfachpersonen explizit an ihren professionellen Eid erinnert: nicht zu schaden. Und er verweist sie darauf, dass sie je nach Gesetzgebung eines Landes ihre Berufslizenz verlieren oder sonstwie bestraft werden können, wenn sie Beschneidungen durchführen.
Über ihre lokalen Vertretungen versucht die WHO aber auch den sanften Weg, nämlich Hebammen und Krankenschwestern für die Prävention zu gewinnen – als Meinungsführerinnen gegen die Genitalbeschneidung. «Es ist wichtig, sensibel, aber auch beharrlich zu kommunizieren», sagt Christina Pallitto. Nur so könne man die Gesundheitsfachleute überzeugen, nicht mehr Teil des Problems zu sein.