Zum Inhalt springen
Sensor an der Decke
Legende: Sensoren liefern wertvolle Daten – werden aber meist auch als störender Eingriff in die Privatsphäre erlebt. SRF

Wohnen im Alter Dank ständiger Überwachung länger selbstbestimmt?

Wir werden immer älter. Wir werden immer mehr. Und je älter wir werden, desto mehr von uns sind im Alltag auf Unterstützung angewiesen, für die es nicht genügend Hilfskräfte gibt.

Die Digitalisierung verspricht die Lösung des Dilemmas: mit smarten Wohnungen und dank dem Internet der Dinge.

Das Internet der Dinge

Box aufklappen Box zuklappen

Das Internet der Dinge (IoT, «Internet of Things») wird von mittlerweile mehreren Milliarden digitalen Geräten weltweit gebildet, die Daten sammeln und ohne menschlichen Einfluss miteinander austauschen. Das IoT besteht im wesentlichen aus drei Komponenten:

  • Sensoren, die Daten sammeln
  • Ein Netzwerk, das die Daten überträgt
  • Ein System, das die gesammelten Daten verarbeitet und daraus bei Bedarf Aktionen ableitet.

Beispiele für Anwendungen im Alltag:

  • Schutz vor Sommerhitze: Übersteigt die Raumtemperatur einen bestimmten Wert, werden automatisch Sonnenstoren heruntergelassen, bis die Temperatur wieder den Sollwert erreicht hat.
  • Hilfe nach Sturz: Der Beschleunigungssensor einer Smartwatch liefert Daten, die auf einen Sturz hinweisen. Die Smartwatch versucht, mit dem Träger zu kommunizieren und löst nach einer gewissen Zeit selbstständig einen Alarm bei einem vorab definierten Notfalldienst aus.
  • Schlaue Vorratshaltung: Kühlschrank und Vorratsschrank registrieren anhand elektronischer Etiketten, welche Produkte in ihnen gelagert sind. Rechtzeitig vor Erreichen des Ablaufdatums wird eine Warnung angezeigt, auf Wunsch samt Rezeptvorschlag. Geht ein Lebensmittel aus, kommt es automatisch auf die elektronische Einkaufsliste. Die ist mit den Online-Shops verschiedener Grossverteiler verbunden und löst bei Aktionsangeboten automatisch eine Bestellung aus.

Drei Themengebiete stehen dabei aktuell im Vordergrund:

  • Sicherheit durch Überwachung
  • Selbstständigkeit dank Unterstützung
  • Gesundheit dank Monitoring

Sicherheit dank Überwachung

Licht auf Knopfdruck oder auch nur das Hochfahren der Rollläden: In seiner Alterswohnung in Gossau kann Thomas Cozzio vieles über ein Tablet bequem vom Sessel aus bedienen. «Für Menschen mit Mobilitätsproblemen ist das eine sehr praktische Sache!»

Die Technologie soll die Senioren aber nicht nur im Alltag unterstützen, sondern auch Sicherheit bieten. Deshalb sind in der Wohnung Kameras installiert, und Sensoren registrieren jede Bewegung in jedem Zimmer.

Ist das eine gewisse Zeit lang nicht der Fall, wird in der Zentrale ein Alarm ausgelöst. Führt die Kontaktaufnahme über Lautsprecher zu keiner Reaktion, kann sich das Personal durch die Kameras einen Überblick verschaffen und notfalls eingreifen.

Heimleiter Markus Christen ist vom Nutzen des Systems überzeugt: «Es hat sich bereits einmal bewährt, als jemand gestürzt war und der Notfallknopf ausser Reichweite war.»

Auch Thomas Cozzio weiss der Überwachung Positives abzugewinnen, fühlt sich durch sie sicher und geborgen. Im «Vita Tertia» ist er damit allerdings die Ausnahme: In den 15 anderen Wohnungen, die mit dem System ausgerüstet sind, legen die Bewohner mehr Wert auf Privatsphäre. Ihre Kameras und Sensoren sind offline.

Selbstständigkeit dank Unterstützung

Trotz der Vorbehalte vieler Senioren: Solche Systeme sollen in Zukunft helfen, möglichst lange selbstständig leben zu können. Deshalb forscht man beispielsweise in Biel bereits an der Alterswohnung der Zukunft.

Medizininformatiker der Berner Fachhochschule haben dort unter anderem einen intelligenten Wandschrank entwickelt, der dereinst betagten Menschen beim Ankleiden helfen könnte. Basierend auf Wetterprognose und persönlichem Terminkalender macht der Schrank auf Knopfdruck einen Kleidervorschlag und zeigt auch gleich, wo die Kleidungsstücke zu finden sind. Ein Computerchip in der Etikette macht’s möglich.

Der Chip liesse sich zum Beispiel auch für smarte Wäschekörbe nutzen. «Der Korb erkennt, was alles in ihm liegt und könnte zu gegebener Zeit einem Waschdienst melden ‹ich bin voll, die Wäsche kann abgeholt werden›», erklärt Medizininformatiker Jürgen Holm.

Um das Thema Überwachung kommen aber auch die Berner bei ihren Unterstützungsprojekten nicht herum: Im Fussboden der Modellwohnung sind Sensoren integriert, die ähnlich wie ein Touchscreen funktionieren und messen, wo sich die Füsse oder ein Körper gerade befindet.

Zurzeit erkennt das System – ähnlich wie in Gossau –, wenn jemand bewegungslos am Boden liegt. Dies führt zu einer Alarmmeldung auf dem Handy einer vorab bestimmten Kontaktperson. Über deren Mobiltelefon lässt sich dann ein in der Wohnung stationierter Roboter zum Sturzopfer lotsen, wo man sich mittels Videotelefonie einen Überblick verschafft.

Der wesentliche Unterschied des experimentellen Systems zu bereits bestehenden Lösungen à la Gossau: In der Wohnung sind keine Kameras installiert, von denen man nie so richtig weiss, ob sie eingeschaltet sind oder nicht und wer auf der anderen Seite am Monitor sitzt.

Gesundheit dank Monitoring

Die Digitalisierung kann im Notfall für schnelle Hilfe sorgen. Eine Hoffnung der Forscher ist aber auch, dass es durch sie gar nicht erst zum Notfall kommt. Eine Schweizer Studie liefert dafür vielversprechende erste Resultate.

Ein Teilnehmer ist der 92-jährige Theodor Lips. Ein Jahr lang trug er im Dienste der Wissenschaft einen Sensor am Arm, der Herzdaten, Hautfeuchtigkeit oder Körpertemperatur mass. Damit nicht genug: Ein Sensor unter seiner Matratze lieferte Informationen über Schlafqualität, Atemfrequenz und Herzschlag. Bewegungssensoren in der ganzen Wohnung registrierten jede seiner Aktivitäten. Und sogar der Kühlschrank war überwacht: Für Rückschlüsse auf sein Essverhalten wurde jedes Öffnen und Schliessen der Tür registriert.

Lips' Daten und die von 24 weiteren Probanden wurden laufend an Studienleiter Hugo Saner und sein Team übermittelt. Das Ziel der Forscher: Muster erkennen, um Krankheiten vorherzusagen.

Ungewollt leistete Theodor Lips der Wissenschaft dabei einen besonderen Dienst: Als ihn ein Unwohlsein beschlich, ging er zum Hausarzt. «Der hat mich dann direkt als Notfall ins Spital eingewiesen», erinnert sich der 92-Jährige.

Diagnose: Herzschwäche. Nach 14 Tagen Spitalaufenthalt durfte Lips wieder nach Hause. Die anschliessende Analyse der Sensordaten zeigte dann: Die sich anbahnende Herzinsuffizienz hatte sich in Lips’ Messwerten tatsächlich bemerkbar gemacht.

«In den Monaten vor dem Spitalaufenthalt lässt sich ein langsamer Anstieg der Atmungsrate pro Minute erkennen», erklärt Kardiologen Saner. «Auch die Anzahl Toilettenbesuche hatte zugenommen, während die Aktivität von Herrn Lips insgesamt immer mehr zurückgegangen war.»

Rückblickend lauter typische Zeichen, die auf eine Herzinsuffizienz hinweisen. Rückblickend. Derzeit lassen die Sensordaten nur dies zu, aber schon in wenigen Monaten soll das System auch in der Lage sein, Voraussagen liefern zu können.

Hugo Saners Vision: «Ein System, das so autonom läuft, dass eine Person 5000 bis 10'000 Senioren in der Art einer Flugüberwachung betreuen könnte, und das nur dann Alarm schlägt, wenn tatsächlich ein Problem vorliegt.»

Noch ist das Zukunftsmusik. In einem nächsten Schritt sollen nun 250 Haushalte mit Sensoren ausgestattet werden, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen.

Meistgelesene Artikel