Weiterbauen statt abbrechen - Der Bau unserer Häuser ist sehr klimarelevant
Ein durchschnittlicher Neubau verursacht während der Bauphase mehr Treibhausgase als der Betrieb von Heizung und Warmwasser in den folgenden 60 Jahren. Es gibt Alternativen – doch was taugen sie?
Unsere Häuser sind relevant für den Klimaschutz. Man muss sie besser isolieren und möglichst klimaschonend heizen – diese Nachricht hat sich weitgehend durchgesetzt. Unter anderem deshalb werden auch viele alte Häuser abgerissen und neu gebaut.
Vielen nicht bewusst ist aber, dass in jedem Gebäude viele versteckte, sogenannte graue Emissionen stecken. Es sind die Emissionen, die entstehen bei der Herstellung von Zement, beim Antransport des Baumaterials und beim Bau selber. Ein neues Haus verursacht so mehr Treibhausgase als sein Betrieb in den folgenden 60 Jahren, wie ein
Grundlagenbericht des Bundes
zeigt.
Bestehende Mauern weiter nutzen
«Wir sollten viel häufiger Umbauen und Weiterbauen, statt so viele Häuser abzureissen», sagt zum Beispiel der Basler Architekt Dominique Salathé, der ein 20-köpfiges Architekturbüro leitet. «Es wird derzeit zu viel gute Bausubstanz vernichtet.» Fürs Klima besonders ins Gewicht fällt es, wenn es gelingt, die bestehende Tragstruktur weiterzuverwenden, also die Mauern aus Stein oder Beton.
Ebenfalls ein grosser Hebel für den Klimaschutz sind eine leichte Bauweise und das Bauen und Ergänzen mit Holz. Salathé hat all dies mit dem Um- und Weiterbau eines bestehenden Wohnhauses aus dem Jahr 1872 in Basel umgesetzt. Sein Architekturbüro ist dafür mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden – nicht wegen der guten Klimabilanz, sondern wegen der Architektur.
150-jähriges Haus lebt weiter
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Am Anfang stand auch ein Abbruch zur Diskussion. Nach einigem Abwägen hätten sich die Besitzerinnen aber entschieden, die schöne alte Bausubstanz mit Parkett, hohen Räumen und schönem Terrazzoboden zu erhalten, sagt Architekt Dominique Salathé.
Auf die bestehenden Grundmauern liess sich ein zweistöckiger Holzbau daraufsetzen. Im Innern brauchte es eine Versteifung, damit das Gebäude erdbebenfest wird. Auch dies liess sich mit Holz machen. Dieser Umbau und die Aufstockung kam die privaten Besitzerinnen deutlich günstiger als ein Abbruch und Neubau, sagt Salathé. «Wir machten dabei allerdings auch einige Abstriche.» So hat das neu renovierte Haus zum Beispiel keinen Lift.
Umbauen erfordert viel Flexibilität
Ebenfalls viel Erfahrung mit der Umnutzung bestehender Bauten hat die gemeinnützige Stiftung Habitat aus Basel. Mit dem Geld der Roche-Erbin Beatrice Oeri hat sie ein altes Weinlager von Coop gekauft.
Die Betonstruktur des nüchternen Zweckbaus aus den 1950er-Jahren wird weiterverwendet, aufgestockt und nun entsteht ein langgestrecktes Wohnhaus: 65 Wohnungen für mehr als 150 Menschen. «Wir mussten die Grundrisse der Wohnungen flexibel der bestehenden Gebäudestruktur anpassen», sagt Projektleiter Laurent Burnand, der Projektleiter des Zürcher Architekturbüros Esch Sintzel. «Beim Weiterbauen stösst man immer wieder auf neue Überraschungen, man kann nie fix nach Plan arbeiten.»
Vom Weinlager zum Wohnhaus
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1955 baute Coop im Westen von Basel ein Weinlager mit riesigen Tanks im sechs Meter hohen Untergeschoss. Die gemeinnützige Stiftung Habitat liess die beiden obersten, in den 1970er-Jahren in Stahlbau ergänzten Stockwerke abreissen, verwendete aber die Betonstruktur der unteren Stockwerke und des Untergeschosses weiter.
Die charakteristischen rohen Beton-Pilzstützen des Industriebaus wurden nicht versteckt, sondern prägen nun die neu eingebauten Wohnungen. Die neue Fassade musste aufwändig an die bestehende Betonstruktur angeschlossen werden.
Für den Neubau der obersten Stockwerke, für die Erdbebenfestigkeit, die Treppenhäuser, Liftkerne sowie ein neu eingezogenes Parkdeck brauchte es viel zusätzlichen Beton. 56 Prozent des Betons sind neu. Gemäss vorläufigen Berechnungen der Stiftung Habitat ist der Umbau etwa gleich teuer wie ein vergleichbarer Neubau.
Umbau nicht immer die beste Lösung
Der Anschluss der neuen Bauteile an die alten bereitete den Statikern und Architektinnen immer wieder Kopfzerbrechen. «Einige Male sagten wir uns: ‹ach lass uns doch alles abreissen, bis und mit Erdgeschoss›», sagt Projektleiter Burnand. Jetzt im Nachhinein zeige sich aber, «es hat sich gelohnt».
Umbau und Weiterbau sei für Architektinnen und Architekten eine neue spannende Herausforderung, bestätigt auch Salathé. «Man braucht mehr Kreativität. Bei jungen Architekten ist Umbauen unterdessen total hip.» Aber nicht immer sei ein Umbau möglich. Manchmal sei die bestehende Bausubstanz auch einfach zu schlecht, oder stehe am falschen Ort. Man müsse von Fall zu Fall wieder neu entscheiden.
Umbau statt Abriss kommt als Thema also langsam an in der Baubranche. Wenn die Schweiz ihr Ziel, bis 2050 Co2-neutral zu werden, aber wirklich erreichen soll, dann müsste das Weiterbauen schnell zum Standard werden.
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