Ausgestorbene Tierarten wiederzubeleben ist keine neue Idee. Zum ersten Mal taucht das Wort «De-Extinction», wörtlich «Ent-Aussterben», 1979 im Science-Fiction-Roman «Zaubersuche» auf. Darin erzählt der Autor Piers Anthony über einen Zauberer, der Katzen begegnet, die eigentlich ausgestorben sind.
Aus Science-Fiction will Naturschutzbiologe Ben Novak Wirklichkeit machen: Er arbeitet für die Organisation «Revive and Restore». Sie ist 2012 mit dem Ziel gestartet, die Idee der «De-Extinction» mittels Biotechnologie umzusetzen.
Einst der häufigste Vogel der Welt
Von der Natur spricht Novak mit viel Wertschätzung, aber auch mit viel Wut darüber, was der Mensch angerichtet hat: «Die amerikanische Wandertaube war der häufigste Vogel der Welt. Es gab Milliarden davon.»
Und doch ist die Wandertaube heute ausgestorben. Der Grund: menschliche Gier. Den Jägern ging es laut Novak einzig darum, dem Markt billiges Fleisch zu liefern.
Dafür nutzten sie die neueste Technik: Telegrafie, um zu kommunizieren, wo grosse Schwärme waren und die Eisenbahn, um die Beute schnell in die grossen Städte zu bringen.
Nun will Novak die Wandertaube wiederauferstehen lassen. Keine exakte Kopie, aber etwas, das der Wandertaube zumindest nahekommt. Als Ausgangsmaterial dient ihm die Schuppenhalstaube, eine andere Taubenart, die bis heute an der Westküste der USA verbreitet ist.
Aus Schuppenhalstaube wird Wandertaube
Novak will die Gene der Schuppenhalstaube so umschreiben, dass die Tauben am Ende zumindest zum Teil der ausgestorbenen Wandertaube gleichen.
Aber wie unterscheiden sich denn Schuppenhalstaube und Wandertaube? Wandertauben waren in riesigen Schwmen unterwegs. Zur Brutzeit bauten sie in einem Baum hunderte Nester. Die Schuppenhalstaube lebt dagegen eher einzeln oder in Paaren – vor allem, wenn sie brütet. Sonst gleicht sie der Wandertaube sehr.
Nur: Wie muss man das Erbgut eines Tiers verändern, damit es Schwärme bildet? Die Antwort darauf muss Novak noch finden.
Ideen hat er schon. Die Männchen der Wandertaube hatten zum Beispiel eine auffällig rote Brust. Ein Merkmal, das beim Durchsetzen im Schwarm hilft und beim Kommunizieren im sozialen Kontext.
Novak vermutet zudem, dass der Nachwuchs der Wandertauben schnell flügge wurde, denn nur so konnten junge Tauben mit dem Schwarm mithalten.
Welche Gene sind entscheidend?
Seit knapp einem Jahr ist das komplette Erbgut der Wandertauben bekannt. Jetzt beginnt das Knobeln, um herauszufinden, welche Gene wofür entscheidend sind. Novak ist überzeugt: «Es ist möglich, einige Schlüssel-Gene wieder zum Leben erwecken und zwar noch innerhalb der Lebenszeit meiner Generation».
Sollte das funktionieren, kommt der nächste Schritt. Denn ein, zwei Dutzend Tauben wären ökologisch betrachtet sinnlos. Es braucht Zehntausende Tiere. Das werde dauern, gibt Novak zu. Aber auch das hält der junge Naturschutzbiologe für möglich.
Und wozu das Ganze?
Doch warum der ganze Aufwand für die Wandertaube? Ben Novak hat eine klare Antwort: «Wandertauben waren Ökosystem-Ingenieure.»
Die riesigen Schwärme hätten allein durch ihr Gewicht grosse Äste abgebrochen und Bäume umgestürzt. «Wo sie ankamen, blieb nichts, wie es war. Sie wirkten wie ein Sturm oder ein Waldbrand.» Zudem hätten Wandertauben jede Menge Kot fabriziert, also extrem fruchtbaren Dünger.
Als die Wandertauben ausstarben, verschwanden deshalb auch ökologische Nischen, die es ohne ihren Einfluss nicht mehr gibt. Das führte dazu, das mit der Wandertaube auch viele andere Tierarten verschwanden.
Sie zurückzubringen wäre also ein Weg, um für viele Arten auf einmal – also für ein ganzes Ökosystem – etwas zu erreichen.
Der junge Forscher ist überzeugt von dem, was er da tut – auch wenn es verrückt klingt. Er will Verlorenes wieder zurückholen und dafür etwas nutzen, das typisch Mensch ist: den Erfindergeist. Etwas, das eben beides bewirken kann, Gutes und Böses.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 31.10.2018, 09.05 Uhr