Kein Zweifel: Am höchsten ist die Artenvielfalt in naturbelassenen Regionen. Beim Vergleich von Städten mit Gebieten intensiver Landwirtschaft, trügt aber das Bild, wie Daten klar belegen. Duftende Blüten, farbenfrohe Wiesen und seltene Sträucher finden wir eher in Schweizer Städten als in der Landwirtschaftszone. Das lässt sich beispielhaft in Bern und Genf zeigen.
Bern, Genf wie auch weitere Schweizer Städte sind regelrechte Refugien für Tiere und Pflanzen. In den kleinräumigen Strukturen und Nischen wie beispielsweise an Ufern von Bächen und Teichen, entlang von Hecken und Bahnböschungen, in Parks, in verwilderten Gärten und Innenhöfen, finden sie ihr Plätzchen. Wegen dieser vielfältigen Lebensräume können sich auch Arten ansiedeln, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen überleben können.
Im Agrarland finden wir kaum Natur
In der intensiv genutzten Landwirtschaft hingegen sind die Bedingungen aufgrund von Monokultur oft unveränderlich, entsprechend sind auch die gleichen Arten anzutreffen. So ist beispielsweise der Löwenzahn weltweit auf dem Vormarsch und verdrängt andere Blumen, Gräser und Kräuter, die weniger konkurrenzfähig sind.
«Im intensiv genutzten Agrarland treffen wir kaum Natur an» , bilanziert Stefan Eggenberg. Er ist Biologe und Direktor des nationalen Datenzentrums Schweizer Flora. Wer neben überdüngten Weiden und mit Pestiziden behandelten Äckern spaziere, begebe sich sozusagen in eine Industriezone.
Auf dem Land ist vielerorts ein Einheitsbrei entstanden. Diese Gebiete sind dem Grundsatz der maximalen Produktion unterworfen...
«Auf dem Land ist vielerorts ein Einheitsbrei entstanden. Diese Gebiete sind dem Grundsatz der maximalen Produktion unterworfen, die Biodiversität hat man dabei links liegen gelassen», so Eggenberg.
Der Blick auf die ganze Schweiz bestätigt diese Aussage. Generell ist die Artenvielfalt in Schweizer Städten grösser als auf dem Agrarland, wie die folgende Karte zeigt.
Der Aufbau einer Stadt hat enormen Einfluss auf deren Biodiversität
Eva Knop, Biologin der Universität Zürich, ist weltweit eine der ersten Forscherinnen, die genau diese Entwicklung der Artenvielfalt in der Schweiz untersucht hat. Sie arbeitete an einer im Journal «Gobal Change Biology» veröffentlichten Studie mit , welche das Vorkommen von Käfern, Wanzen, Zikaden und Spinnen auf Bäumen analysierte. Das Resultat: Lokal sind diese Tierarten häufiger in grünen, städtischen Quartieren als im intensiv genutzten Agrarland zu finden.
«Das hat uns überrascht», sagt Eva Knop. Sie differenziert aber: «Es kommt sehr darauf an, wie die Stadt gebaut ist: In verdichteten Quartieren ist die Artenvielfalt tiefer als im Agrarland.» Andere Stadtteile würden hingegen eindrücklich zeigen, wie gross das Potenzial vom Siedlungsgebiet sei.
Es kommt sehr darauf an, wie die Stadt gebaut ist: In verdichteten Quartieren ist die Artenvielfalt tiefer als im Agrarland.
Genau dort sei in den letzten Jahren viel passiert, beobachtet der Botaniker Stefan Eggenberg. Ufer wurden renaturiert, Zwischenräume eingeplant, weniger gemäht und Bäume stehen gelassen. Wegen Kampagnen und Aufklärungsarbeit habe sich auch das Denken in der Bevölkerung verändert, insbesondere dass Natur und Stadt kein Widerspruch darstellten: «Biodiversität beginnt bereits im Kopf.»
Glücklichere Menschen in biodiversen Gebieten
Menschen fühlen sich in biodiverser Umgebung zufriedener : Je höher die Anzahl an Pflanzenarten in einem städtischen Garten, umso erholsamer wurde er eingeschätzt. Andere Studien bringen ähnliche Resultate hervor, auch wenn die Forschung dazu erst am Anfang steht.
Weltweit wurde eine Korrelation zwischen Wohlstand und Biodiversität festgestellt, was auch als «LuxuryEffect» bezeichnet wird . In vielen wohlhabenden Vierteln wird eine höhere Pflanzenvielfalt als in ärmeren Stadtteilen festgestellt.
Typisch Schweiz: Geputzte Natur
Botaniker Stefan Eggenberg beobachtet aber eine unerfreuliche Besonderheit der Schweizerinnen und Schweizer : «Unser Putz-Wahn. Wir ordnen, strukturieren und säubern die Natur, das schadet der Biodiversität enorm.» Je weniger der Mensch in einen Lebensraum eingreife, desto besser kann sich die Biodiversität entwickeln.
Wir ordnen, strukturieren und säubern die Natur. Das schadet der Biodiversität enorm.
Das Problem der urbanen Biodiversität: Die Lebensräume verfügen zwar über wertvolle Nischen, sind aber sehr kleinräumig. Strassen zerschneiden ehemals zusammenhängende Lebensräume, Tiere können sich kaum fortbewegen. «Städte sind keineswegs die Lösung für die drastischen Biodiversitätsverluste» , betont Eggenberg.
Paris, Zürich und Berlin werden immer ähnlicher
Laut dem Bundesamt für Statistik ist schweizweit eine Fläche fast viermal so gross wie der Bodensee versiegelt. «Wenn wir damit nicht aufhören, passiert das Gleiche wie in der Landwirtschaft – eine Homogenisierung, ein Einheitsbrei», so Eggenberg.
Und diese sei global betrachtet bereits im Gang, warnt die Biologin Eva Knop. «Zwar finden wir im urbanen Raum viele Arten, aber grossflächig gesehen sind es häufig dieselben.» Sprich: Es gibt auf kleinem Raum eine grosse Artenvielfalt, doch die Lebensräume in Paris, Berlin und Zürich werden immer ähnlicher.
Zwar finden wir im urbanen Raum viele Arten, aber grossflächig gesehen sind es häufig dieselben.
Trotzdem gebe Eggenberg die hohe Artenvielfalt in der Stadt Hoffnung. «Es wird sichtbar, wie viele Handlungen in ihrer Summe eine Wirkung entfalten.» Wer auf dem Balkon heimische Blumen sät, vertrocknete Pflanzenstängel und Laub im Herbst liegen lässt oder weniger häufig Rasen mäht, tut bereits etwas für die Biodiversität. Direkt vor der Haustür, mitten in der Stadt.