Bakterien, Pilze, Käfer, Fliegen, Geier, Raben und Elstern tun es. Und selbst Meisen und Hörnchen beissen hin und wieder in einen Kadaver. Wölfe, Katzen, Otter und Bären sowieso.
Verrottendes Fleisch fressen, schrumpelige Häute kauen und an trockenen Knochen nagen, das mag eklig klingen. Doch der Biologen Bernd Heinrich ist fasziniert von der Verwesung und dem, was daraus entsteht.
Vom Brechreiz beinahe überwältigt
Auf seinem wilden Anwesen im Nordosten der USA lässt er tote Holsteinkühe verfaulen. Er misst, wie schnell tote Schweine abkühlen. Er schleppt eine verendete Hirschkuh an und beobachtet ihre Zersetzung.
Geduldig verfolgt er, welches Leben sich in welcher Reihenfolge und in welchem Tempo an den Tierleichen gütlich tut. Und welche Rolle Temperatur, Feuchtigkeit und andere Umgebungsfaktoren beim Zersetzungsprozess spielen. Oft kommt es anders als vermutet.
Über der bereits streng riechenden Hirschkuh kreist bald schon der erste Geier. Doch der Vogel und auch die Kojoten und Bären bleiben dem rezenten Leckerbissen fern. Denn eine laute Camping-Gesellschaft hat sich in der Nähe niedergelassen. Das schreckt die grossen Aasfresser ab, nicht aber die kleinen.
So tummeln sich schon bald Fliegen und ihr madiger Nachwuchs in unvorstellbaren Massen auf dem Kadaver. Doch was tut sich eigentlich unter der Hirschkuh? Heinrich will es wissen. Einfach ist das nicht. Der passionierte Ultralangstreckenläufer ist hart im Nehmen. Doch während dieses Wendemanövers wird selbst er vom Brechreiz beinahe überwältigt.
Schleimaale im Walkadaver
Heinrich experimentiert nicht nur im Vorgarten. In «Leben ohne Ende» beschreibt er auch das Sterben von Kleinstlebewesen wie dem Meeresplankton und von Riesenorganismen wie Walen oder Bäumen, den grössten Organismen der Erde.
Ein toter Wal beispielsweise sinkt langsam Richtung Meeresboden. Manchmal bis in 2'000 Meter Tiefe. Dort wartet eine mobile Truppe von Aasfressern. Der Grönlandhai beisst sich die besten Stücke weg. Dann graben sich Schleimaale in den Walkadaver. Grenadierfische folgen und Millionen von winzigen Schalentieren.
Ein Wal wird komplett rezykliert
Wenn nach zwei Jahren alles abgenagt ist, packt die nächste Aasfresser-Einheit an. Das Skelett wird von Bakterien-Teppichen besiedelt, auf denen Meeresschnecken weiden und zauberhafte Würmer leben, die aussehen wie Blumen. Ganz zum Schluss, wenn die Knochen blank sind, saugen Myriaden von Kleinstlebewesen das Fett aus dem Knochen. Was vom Wal übrigbleibt, wird über Jahrzehnte komplett rezykliert.
Die Dramaturgie des Verwesens
Durch den neugierigen, fast kindlich-interessierten Blick von Bernd Heinrich erhält der Tod eine Schönheit und die Verwandlung von Aas zu neuem Leben Sinn.
Daher fürchtet er auch diese Frage nicht: Was soll mit seinem Körper passieren, wenn er tot ist? Kremieren geht gar nicht. Zu klimaschädigend, zu toxisch. Erdbestattung? Bringt zu wenigen Organismen etwas.
Der Tod speist das Leben
Was dann? Organe spenden – egal ob einer Frau, einem Mann, einem Kind oder einem Hund. Sollte sein Herz von niemandem gebraucht werden, dann möchte er es den Raben vermachen, die ihm so viel gegeben hätten. Den Leichnam ins Freie legen und der Natur zurückgeben.
Hier wirkt der bekennende Atheist Heinrich fast schon religiös. In seinem Buch und mit seiner Forschung zeigt er, dass der Tod das Leben speist – und dass das Jenseits schon im Diesseits stattfinden kann. Das ist schön und tröstlich zugleich.