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Faszination für das Tote Ohne Tod kein Leben – die Poesie der Verwesung

Das Leben nährt sich vom Tod. Das gilt ganz besonders für Aasfresser. Der Biologe Bernd Heinrich hat ein tröstliches und faszinierendes Buch über Verwesung und das Leben, das daraus entsteht, geschrieben.

Bakterien, Pilze, Käfer, Fliegen, Geier, Raben und Elstern tun es. Und selbst Meisen und Hörnchen beissen hin und wieder in einen Kadaver. Wölfe, Katzen, Otter und Bären sowieso.

Verrottendes Fleisch fressen, schrumpelige Häute kauen und an trockenen Knochen nagen, das mag eklig klingen. Doch der Biologen Bernd Heinrich ist fasziniert von der Verwesung und dem, was daraus entsteht.

Vom Brechreiz beinahe überwältigt

Auf seinem wilden Anwesen im Nordosten der USA lässt er tote Holsteinkühe verfaulen. Er misst, wie schnell tote Schweine abkühlen. Er schleppt eine verendete Hirschkuh an und beobachtet ihre Zersetzung.

Das Skelett einer toten Kuh, eines Rinderkalbs, liegt in der Wueste von New Mexico
Legende: Bernd Heinrich hat untersucht, welches Leben sich in welcher Reihenfolge an Tierleichen gütlich tut. Hier das Skelett einer toten Kuh. imago images / Tillmann Pressephotos

Geduldig verfolgt er, welches Leben sich in welcher Reihenfolge und in welchem Tempo an den Tierleichen gütlich tut. Und welche Rolle Temperatur, Feuchtigkeit und andere Umgebungsfaktoren beim Zersetzungsprozess spielen. Oft kommt es anders als vermutet.

Über der bereits streng riechenden Hirschkuh kreist bald schon der erste Geier. Doch der Vogel und auch die Kojoten und Bären bleiben dem rezenten Leckerbissen fern. Denn eine laute Camping-Gesellschaft hat sich in der Nähe niedergelassen. Das schreckt die grossen Aasfresser ab, nicht aber die kleinen.

Buchhinweis

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Bernd Heinrich: Leben ohne Ende. Der ewige Kreislauf des Lebendigen. Reihe Naturkunden hrsg. von Judith Schalansky, Matthes + Seitz, 2019.

So tummeln sich schon bald Fliegen und ihr madiger Nachwuchs in unvorstellbaren Massen auf dem Kadaver. Doch was tut sich eigentlich unter der Hirschkuh? Heinrich will es wissen. Einfach ist das nicht. Der passionierte Ultralangstreckenläufer ist hart im Nehmen. Doch während dieses Wendemanövers wird selbst er vom Brechreiz beinahe überwältigt.

Schleimaale im Walkadaver

Heinrich experimentiert nicht nur im Vorgarten. In «Leben ohne Ende» beschreibt er auch das Sterben von Kleinstlebewesen wie dem Meeresplankton und von Riesenorganismen wie Walen oder Bäumen, den grössten Organismen der Erde.

Ein toter Wal beispielsweise sinkt langsam Richtung Meeresboden. Manchmal bis in 2'000 Meter Tiefe. Dort wartet eine mobile Truppe von Aasfressern. Der Grönlandhai beisst sich die besten Stücke weg. Dann graben sich Schleimaale in den Walkadaver. Grenadierfische folgen und Millionen von winzigen Schalentieren.

Pottwal-Kadaver in kleiner, steinigen Bucht, verwesend, Norwegen,
Legende: Was vom Wal übrig bleibt, wird über Jahrzehnte von verschiedenen Lebewesen komplett rezykliert: Pottwal-Kadaver in Norwegen. imago images / blickwinkel

Ein Wal wird komplett rezykliert

Wenn nach zwei Jahren alles abgenagt ist, packt die nächste Aasfresser-Einheit an. Das Skelett wird von Bakterien-Teppichen besiedelt, auf denen Meeresschnecken weiden und zauberhafte Würmer leben, die aussehen wie Blumen. Ganz zum Schluss, wenn die Knochen blank sind, saugen Myriaden von Kleinstlebewesen das Fett aus dem Knochen. Was vom Wal übrigbleibt, wird über Jahrzehnte komplett rezykliert.

Die Dramaturgie des Verwesens

Durch den neugierigen, fast kindlich-interessierten Blick von Bernd Heinrich erhält der Tod eine Schönheit und die Verwandlung von Aas zu neuem Leben Sinn.

Ein Mann mit Brille und kurzen, grauen Haaren sitzt in seinem Häuschen.
Legende: Bernd Heinrich lebte mit seinen Eltern und Geschwistern fünf Jahre lang in einer kleinen Waldhütte. Dort hat er den Kreislauf des Lebens kennen- und lieben gelernt. SalomonTrailRunning

Daher fürchtet er auch diese Frage nicht: Was soll mit seinem Körper passieren, wenn er tot ist? Kremieren geht gar nicht. Zu klimaschädigend, zu toxisch. Erdbestattung? Bringt zu wenigen Organismen etwas.

Der Tod speist das Leben

Was dann? Organe spenden – egal ob einer Frau, einem Mann, einem Kind oder einem Hund. Sollte sein Herz von niemandem gebraucht werden, dann möchte er es den Raben vermachen, die ihm so viel gegeben hätten. Den Leichnam ins Freie legen und der Natur zurückgeben.

Hier wirkt der bekennende Atheist Heinrich fast schon religiös. In seinem Buch und mit seiner Forschung zeigt er, dass der Tod das Leben speist – und dass das Jenseits schon im Diesseits stattfinden kann. Das ist schön und tröstlich zugleich.

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