Ob Lachs, Thun, Dorsch oder Makrele: Die Bestände unserer Speisefische sind in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen – teilweise um bis zu 90 Prozent.
Schuld daran ist die Überfischung. Doch die hat noch einen weiteren Effekt: Die Fische in den Meeren werden immer kleiner, weil die grössten Exemplare am stärksten befischt werden.
«Früher hatte zum Beispiel ein Kabeljau oder Dorsch in der Nordsee eine mittlere Grösse von 80 Zentimetern«, sagt Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. «Heute kommt er noch auf 40 Zentimeter. Wir haben diesen Fisch also gerade um die Hälfte geschrumpft.»
Je älter desto fruchtbarer
Dieser Schrumpfungsprozess hat Folgen, die bisher unterschätzt wurden. Das zeigt eine neue Studie im Magazin «Science»: «Fische wachsen ein Leben lang. Für die Weibchen gilt: Die ältesten Tiere sind nicht nur die grössten, sondern auch die fruchtbarsten», so Studien-Co-Autor Diego R. Barneche von der Universität Sydney in Australien.
Wie fruchtbar die alten Schwergewichte sind, zeigt dieses Beispiel: Ein einziges 30 Kilogramm schweres Dorschweibchen produziert etwa doppelt so viele Eier wie eine ganze Gruppe von kleineren Weibchen, die zusammen gleich schwer sind wie das grosse Tier.
Die alten Weibchen scheinen auch gleich oft zu laichen wie die jungen. Und sie haben laut Barneche die grösseren Eier – und damit besonders starken Nachwuchs.
Lebensversicherung für den Fischbestand
Anders als bei uns Menschen hört die Gebärfähigkeit bei den Fischen ab einem gewissen Alter also nicht auf. Im Gegenteil: Die Weibchen produzieren mit zunehmendem Alter immer mehr Nachwuchs.
Auch wenn man die Anzahl Eier mit der Körpergrösse in Beziehung setzt, schlagen die alten Fisch-Mamas die jüngeren deutlich. Die grossen alten Weibchen sind laut Meeresbiologe Rainer Froese wegen ihrer Fruchtbarkeit daher «quasi die Lebensversicherung für den Fischbestand».
EU-Fischereigesetz mit Haken
In der Fischerei ist diese Erkenntnis allerdings noch nicht angekommen. Die EU hat zwar seit 2014 ein Fischereigesetz, das von Meeresbiologen als an sich gut beurteilt wird. Allerdings werde das Gesetz in den einzelnen Ländern nicht konsequent umgesetzt, sagt der an der neuen Studie nicht beteiligte Experte Rainer Froese.
Und das EU-Fischereigesetz habe einen Haken: Es lege nämlich vor allem nachhaltige Fangmengen fest und sei punkto Mindestgrössen von Fischen «unterbelichtet».
Massnahmen zum Schutz grosser Fische
Will heissen: Europas Fischer dürfen den Meeren seit 2014 nur noch rund 20 Prozent des Bestands entnehmen statt wie früher rund 60 Prozent.
Nicht verankert im EU-Fischereigesetz sind hingegen Schutzmassnahmen für den Erhalt auch grösserer Tiere. Also Massnahmen wie ein Anteil Netze mit grösserer Maschenweite, Fallen mit grösseren Fluchtfenstern oder ein längerer Verzicht auf Fischerei in Jungfischgebieten.
Dieses Manko ist für Biologe Diego Barneche ein Problem, das sich verschärfen dürfte. Selbst wenn der Fischbestand in Zukunft einigermassen konstant bliebe, so sei er mit zunehmend kleinen Fischen immer noch gefährdet.
Denn: «Eine stabile Fischpopulation bedingt gesunden Nachwuchs. Und den garantieren eben vor allem die grossen Weibchen.»
Studie soll Umdenken bewirken
Die Fischerei müsste daher so geregelt werden, dass sie eine gesunde Alters- und Grössenstruktur der Fischbestände erlaubt. Das verlangt eigentlich auch die «Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie», die von den EU-Ländern in nationales Recht umgesetzt werden muss.
Diese Vorgabe wird von der Fischerei-Industrie und ihrer Lobby bisher aber bekämpft. Forscher Diego Barneche hofft, dass mit seiner Studie in Fischereikreisen weltweit ein Umdenken einsetzen wird.