Zum Inhalt springen

Heuschrecken-Plage Mit Satellit und Drohnen gegen die biblische Plage

Ein Mann gegen Millionen von Wüstenheuschrecken: Die Prognosen des Biologen Keith Cressman können Hungersnöte verhindern.

«Die Wüstenheuschrecken-Lage bleibt ruhig», besagt die monatliche Prognose für den August. Für unzählige Bauern ist diese Vorhersage der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) genauso wichtig wie der Wetterbericht: Was nützt ein guter Regen, wenn ein vorbeiziehender Schwarm von Wüstenheuschrecken das ganze Maisfeld eines Kleinbauern in wenigen Stunden kahl frisst?

Die Wüstenheuschrecke kann das Gebiet von Westafrika über die arabische Halbinsel bis Indien heimsuchen, ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt dort – gewarnt werden diese Millionen von Menschen aber von einem Mann: Keith Cressman.

Gefahr aus der Wüste

Keith Cressman arbeitet im Hauptsitz der FAO in Rom. In seinem Büro kommen die Informationen zusammen, die er braucht, um vorauszusehen, wo eine Heuschreckenplage ihren Anfang nehmen könnte.

«Wüstenheuschrecken können sich sehr schnell vermehren, wenn sie genügend Nahrung finden», sagt Cressman. Wie der Name sagt, lebt die Wüstenheuschrecke in der Wüste. Normalerweise als seltene Einzelgängerin.

Ein Schwarm voller Wüsteninsekten
Legende: Bis zu 150 Kilometer am Tag kann ein Schwarm mit dem Wind zurücklegen. Dieser Schwarm suchte 2004 Israel heim. Keystone

Manchmal aber regnet es auch in der Wüste – dann ergrünt sie. Das bedeutet Futter für die Wüstenheuschrecke. In der Folge vergrössert sich die Population und wird dichter. Wenn die ganze Vegetation vertilgt ist, bildet die Meute einen Schwarm und lässt sich vom Wind zu grüneren Weiden tragen – oftmals zu den Äckern und Gärten von Bauern.

Hunderte Kilometer dank Wind

«Bis zu 150 Kilometer am Tag kann ein Schwarm mit dem Wind zurücklegen», sagt Keith Cressman. Vor ihm auf dem Tisch stehen vier Bildschirme. Sie zeigen an, wo Satelliten Niederschläge und neue Vegetationsflecken in der Wüste festgestellt haben.

Auf einem Regal hinter den Monitoren liegt ein arabischer Krummdolch, ein Janbiya. Ein Mitbringsel. Der Amerikaner ist in Rom stationiert, aber in seiner 30-jährigen Laufbahn als Heuschrecken-Prognostiker hat er fast jeden Winkel der Wüsten und Halbwüsten zwischen Mauretanien und Pakistan besucht.

Mit Hightech gegen Plage

Jedes Land im Verbreitungsgebiet der Wüstenheuschrecke hat eigene Teams, die nach Hotspots suchen, in denen sich die Heuschrecke vermehrt. Sie lassen sich von Cressmans Prognosen leiten und liefern ihm neue Informationen.

Die Suche in den sandigen Weiten ist schwierig, sagt Cressman. «Die Vegetationsflecken können sehr klein sein, aber zahlreich und weit verteilt. Sanddünen können die Sicht versperren.»

Kinder flüchten vor Heuschreckenplage
Legende: Die Kinder im Hochland von Madagaskar sind umzingelt von Heuschrecken. Imago

Dann müssen die Beobachter ihre Geländewagen verlassen und unter der glühenden Sonne zu Fuss Ausschau halten. Wenn die Suchtrupps grössere Mengen an Heuschrecken finden, rücken die Bekämpfungsteams nach. Sie besprühen die Insekten mit tödlichen Chemikalien.

Von der Einführung zum Ernstfall

Seinen ersten Heuschreckenschwarm bekam Keith Cressman gleich zu Beginn seiner Tätigkeit bei der FAO zu sehen. Das war 1988, kurz nach seiner Ausbildung als Spezialist für Pflanzenschutz und Landwirtschaft.

Er reiste in den Sudan, um Felderfahrung zu sammeln. Die geplante Einführung entpuppte sich jedoch als Ernstfall. Als Cressman in der sudanesischen Hauptstadt Khartum weilte, zog ein grosser Schwarm vorbei. «Ich stand da und sah, wie ein Drittel des Himmels über der Stadt schwarz war. Stunde um Stunde zog der Schwarm über uns und verschwand in der Wüste.» In einem solchen Moment merke man, dass Menschen gegen diese Naturgewalt hilflos seien.

Ein Mann vor einer Karte.
Legende: Keith Cressman vor der Karte, die etwa das Verbreitungsgebiet der Wüstenheuschrecke angibt. SRF/Thomas Häusler

Vom Schwarm zur Plage

Die Experten sprechen von einer Plage, wenn mehrere Schwärme durch weite Gebiete ziehen. Solche Schwärme können eine Ausdehnung von über hundert Quadratkilometern haben – Milliarden von Heuschrecken sind beteiligt.

«Ich habe einmal ausgerechnet, wie viel ein Schwarm von der Grösse Bamakos, Malis Hauptstadt, frisst», erzählt Cressman. Ein solcher Schwarm, der nicht einmal besonders gross sei, vertilge an einem Tag so viel, wie die Hälfte aller Einwohner von Mali.

Hungern wegen Heuschrecke

Die Bekämpfung der Plage, die von 1986 bis 1988 dauerte, kostete 300 Millionen Dollar. Unzählige Bauern verloren ihre Ernten und mussten sich verschulden, um ihre Familien zu ernähren.

Eine solche Plage geht nur zu Ende, wenn die Natur mithilft, sagt Keith Cressman. Sprühen allein reicht nicht. Nur wenn der Regen ausbleibt und damit den Heuschrecken die Nahrungsgrundlage entzogen wird, oder wenn keine günstigen Winde wehen, verläuft die Plage schliesslich im Sand.

Optimismus dank Technologie

Umso wichtiger sind gute Vorhersagen, betont Cressman. Das scheint zu klappen: Nach 1988 gab es noch einmal einen grösseren Ausbruch von 2003 bis 2005. Seither sind nur noch kleinere Schwarmbildungen bekannt.

Männer versuchen Heuschrecken zu vertreiben
Legende: Afghanische Bauern versuchen die Heuschrecken, hier noch mit traditionellen Mitteln, zu vertreiben. Keystone

Dank dieses Erfolgs vertrauten die einzelnen Länder den Prognosen der FAO, sagt Cressman. «Allerdings wandere ich auf einem schmalen Grat.» Zu oft warnen, ohne dass etwas passiert, sei kontraproduktiv.

Denn die Länder nehmen die Heuschreckengefahr sehr ernst. Da wird schon einmal das Militär in Alarm versetzt, wenn Cressman eine Heuschreckeninvasion vorhersagt.

Mit Drohnen gegen Heuschrecken

Ohne den technischen Fortschritt sähe das Bild anders aus: Die Computer erlauben es, die Position von Heuschreckenvorkommen in Echtzeit per Satellit direkt nach Rom zu übermitteln. Gegenwärtig experimentiert die FAO mit Drohnen. Sie sollen in Zukunft die schwierige Überwachung in der Wüste erleichtern und kleinere Heuschreckengruppen mit Chemikalien besprühen.

Trotz aller Technologie sind gute Heuschreckenprognosen auch heute nicht garantiert. In den letzten Jahren wurden immer mehr Gebiete in der Wüste für die Suchteams zu gefährlich – nicht wegen der feindlichen Natur, sondern weil dort Terrorgruppen oder Banditen aktiv sind.

Dass die Vorhersagen trotzdem weiterhin zutreffen, dafür sorgt Keith Cressmans 30-jährige Erfahrung. Sie hilft ihm, mit dem Datenmangel umzugehen.

Meistgelesene Artikel