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Klimaforschung in Höhlen In Stalagmiten sind die Geheimnisse der Menschheit gespeichert

Höhlen sorgen vor allem für Aufsehen, wenn es zu Unfällen kommt. Wenn Expeditionsteams tagelang in Höhlen eingeschlossen sind und nur mit aufwändigen Aktionen gerettet werden können. Was wenige wissen: Höhlen sind in der Forschung wichtige Gradmesser für Klimaveränderungen. Und sie können uns viel lehren über die Geschichte der Menschheit.

Dominik Fleitmann

Professor für Geologie

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Dominik Fleitmann ist Quartärgeologie an der Universität Basel. Zuvor war er als Professor für Paläoklimatologie und Archäologie an der University of Reading tätig.

SRF: Wie funktioniert die Forschung mit Tropfsteinen?

Dominik Fleitmann: Es ist ein bisschen wie mit Eisbohrkernen. Eisbohrkerne sind gefrorenes Wasser, Stalagmiten sind quasi versteinertes Wasser. Das Wasser fällt ja an der Erdoberfläche oberhalb der Höhle, geht dann durch den Boden und Fels und kommt dann als Tropfwasser in die Höhle und bildet Stalagmiten.

Und auf diesem Weg vom Regen bis in die Höhle werden viele Umweltparameter aufgezeichnet, die dann in den Stalagmiten gespeichert sind. So können wir einen sehr genauen Einblick in die Niederschlags- und Klimaschwankungen der Vergangenheit erlangen.

Was sind denn die Vorteile der Forschung mit Stalagmiten im Vergleich zu Eisbohrkernen?

Die Stalagmiten in der Höhle sind vor Erosion geschützt. Zum Teil sind Stalagmiten mehrere Millionen Jahre alt. Soweit können wir dann auch in der Zeit zurückgehen.

Eis gibt es natürlich nur an den Polen oder in Gebirgsregionen. Höhlen finden wir weltweit in allen Regionen von Grönland bis in die Wüstengebiete. Wir forschen zum Beispiel im Mittleren Osten, wo Wasser eine kritische Ressource ist und wir können mit unseren Rekonstruktionen bestimmen, wie der Niederschlag in der Vergangenheit geschwankt hat.

Ein Stalagmit - man sieht wie bei einem Baum die Jahrringe verschieden gefärbte Schichten.
Legende: Ein Stalagmit aus der Hadramaut Hoehle im Jemen. Stalagmiten bieten einen spannenden Einblick in die Klimaschwankungen der Vergangenheit. KEYSTONE/Georgios Kefalas

Das ist wichtig für das Klimaverständnis oder um Klimamodelle zu überprüfen. Aber auch um zu zeigen, welchen Einfluss das Klima auf die Entwicklung von Kulturen und die Evolution des Menschen hatte.

Was für Lücken kann die Höhlenforschung schliessen, wenn es um Klimageschichte geht?

Die meteorologischen Wetteraufzeichnungen gehen nur 150 Jahre zurück. Das heisst, wir wissen noch nicht, wie extrem ist das Klima heute. Und dazu brauchen wir Klimaarchive wie Stalagmiten, damit wir einschätzen können: haben wir extreme Klimaschwankungen oder ist das noch im Bereich der natürlichen Klimaschwankungen.

Aufgrund unserer Forschung hier in der Schweiz können wir sagen, dass die jetzigen Temperaturen im Vergleich zu den letzten 10’000 Jahren extrem sind.

Was für eine Rolle spielt das Klima in der Menschheitsgeschichte?

Wir wissen: Das Klima hat die Gesellschaft zu jeder Zeit beeinflusst, ob wir jetzt 100’000 oder 10'000 Jahre zurückgehen in der Zeit. Wir sehen das bei der Entstehung der ersten Landwirtschaft im Mittleren Osten, bei der Entstehung und dem Fall von Reichen wie dem Römischen Reich. Oder sogar bei den Religionen.

Wir arbeiten unter anderem an einem Projekt über die Entstehung des Islam. Da konnten wir Verknüpfungen herstellen zwischen Dürreperioden und einem neuen Glauben. Das liefert uns sehr viel Information darüber, wie der Mensch reagiert, wenn das Klima sich verändert.

Und das gibt uns auch Einblicke, was zukünftig passieren kann – über Migration, Klimaflüchtlinge, Wasserressourcen oder der Kampf um Wasser. Das hat in der Vergangenheit stattgefunden, das findet jetzt statt und es wird auch in der Zukunft stattfinden.

Das Gespräch führte Sarah Herwig.

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