Zum Inhalt springen

Küstenseeschwalbe Die Vielfliegerin aus dem Vogelreich

Sie pendelt zwischen den Polargebieten: Kein Vogel legt jedes Jahr grössere Distanzen zurück als die Küstenseeschwalbe. Warum?

Gäbe es im Tierreich ein Belohnungssystem für Vielflieger, dann wäre die Küstenseeschwalbe die Königin der Bonusmeilen. Die Vögel sind so klein wie eine Amsel und kaum schwerer als eine Tafel Schokolade, bringen es aber auf stolze 70 Zentimeter Flügelspannweite und ein ziemlich langes Leben.

Die ältesten gefundenen Exemplare seien 30 Jahre alt gewesen, sagt die Zoologin Joanne Morten von der Universität Exeter in England: «Zeit ihres Lebens fliegen sie praktisch dreimal zum Mond und zurück.» Anschnallen, bitte: Das sind weit über zwei Millionen Kilometer.

Reisedaten im Rucksack

Küstenseeschwalben brüten in riesigen Kolonien in der Arktis, unter anderem auf Island. 50 dieser Wandervögel von der Vulkaninsel rüstete Joanne Morten gemeinsam mit anderen Biologinnen bis heute mit GPS-Satellitensendern aus.

Die Geräte sind inzwischen so leicht, dass die Marathonflieger sie huckepack nehmen können. Knifflig nur: Die Forscherinnen müssen die Rucksackträger später wiederfinden, um an die gesammelten Reisedaten zu kommen, und das unter mehr als 10'000 Vögeln in der Riesenkolonie.

Erst zweimal sei das bisher gelungen, gesteht Joanne Morten. Aber schon jetzt sei erkennbar, «dass die Strecken, die die Vögel zurücklegen, wahrscheinlich noch grösser sind als bisher beobachtet.»

Neue Geräte, alte Rekorde

Die gültige Rekordmarke liegt bei 90'000 Jahreskilometern, gemessen von niederländischen Forschern. Sie benutzten aber noch recht ungenaue Fotozellen als «Vogel-Flugschreiber».

Solche Sensoren messen und protokollieren regelmässig den Lichteinfall. Da Sonnenstrahlung und Lichtverhältnisse je nach Ort und Tageszeit variieren, lässt sich die Reiseroute der Seeschwalben im Nachhinein grob rekonstruieren, wenn man die Daten ausliest.

Die neuen GPS-Sender liefern viel häufiger Positionsdaten, und präziser sind sie obendrein. «Sobald wir weitere Sensoren ausgewertet haben, wird der alte Rekord sicher fallen», ist Zoologin Morten überzeugt.

Denn schon nach Auswertung der ersten Daten sei klar: «Auch dann, wenn Küstenseeschwalben jagen und nicht wandern, reissen sie viele 1000 Kilometer runter.»

Erstaunlicherweise tun sie das offenbar mitten im Meer: «Eine unserer Seeschwalben überquerte laut GPS den Indischen Ozean und rastete dabei rund eine Woche lang mitten im Nirgendwo», so die verblüffte Forscherin.

Lust auf Licht

Nur: Warum pendeln die rastlosen Seevögel überhaupt zwischen Arktis und Antarktis hin und her? Ein Grund mag sein, dass die kalten polaren Ozeane reichlich Nahrung bieten – Fisch und Krill en masse.

Womöglich ist die Küstenseeschwalbe aber auch einfach nur äusserst sonnenhungrig. Es sei «das Tier, das am meisten Sonne von allen sieht», sagt Luca Börger, Professor für Ökologie an der Universität Swansea in Wales.

Die Vögel hielten sich nämlich immer dann in der Arktis beziehungsweise Antarktis auf, wenn dort Sommer herrsche, so der deutsche Zoologe: «Die sehen fast nie die Nacht und fast immer die Sonne.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 11.4.2020, 12.40 Uhr.

Meistgelesene Artikel