Es ist der Abend, an dem die Schweiz an der Fussball-WM gegen Argentinien spielt. Doch hier oben im Restaurant Grindelwaldblick auf der Kleinen Scheidegg interessiert das nur das Personal. Während die Mitarbeiter der Hütte das Spiel am Küchenradio verfolgen, lauschen ihre nicht ganz alltäglichen Gäste im Speisesaal einem Gletscherforscher.
Samuel Nussbaumer vom Geographischen Institut der Universität Zürich erklärt, was sie am Folgetag rund 1500 Meter weiter oben auf dem Jungfraujoch selbst unter die Lupe nehmen sollen: Gletscher. Wie schnell schmelzen sie? Und welche Rolle spielt das Klima dabei?
Ein junges Dutzend auf Forschertour
Die Gäste sind die Teilnehmer des «nano»-Camps 2014 (siehe Box): 12 Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren. Das diesjährige Grüppchen aus Deutschen, Schweizern und Österreichern, alle aus dem Sendegebiet des 3-Länder-Senders 3sat , und einem Italiener wirkt schon nach vier Tagen wie ein eingeschworenes Team.
«Es ist ziemlich cool hier», sagt Jonas Kittel, Abiturient aus Karlsruhe. Und wo liesse sich das diesjährige Thema Klimawandel besser erkunden als in der Schweiz. Die vielen alpinen Gletscher und die Sedimente der Seen gelten als Klima-Archiv: Mit Bohrkernen aus dem Eis oder dem Grund der Seen können Forscher das Klima vergangener Zeiten erkunden.
Höhepunkt der Woche ist die Expedition auf die höchst gelegene Forschungsstation Europas – das Sphinx-Observatorium auf dem Jungfraujoch, 3580 Meter über Meer. Vom hochalpinen Panorama sehen die Camper jedoch nichts: Die 102 Jahre alte Jungfraubahn transportiert die Jugendlichen von der Kleinen Scheidegg aus in ein dichtes Wolkenmeer. Mitten im Sommer ist hier tiefster Winter – alles ist weiss, minus zwei Grad, Schneegestöber.
Hightech-Messgeräte in der Bergwelt
Doch die Höhe ist zu spüren. Weil die Luft dünn ist, dröhnen die Köpfe und die Schritte fallen schwer. Die Camper schleichen durch unterirdischen Gänge und eine Treppe zum winzigen Forschungslabor hinauf, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Umringt von Apparaturen erklärt Observatoriumsleiter Martin Fischer die Strahlungs- und Gasmessgeräte – und zu welchem Zweck welches Gas analysiert wird. Morris Schmid findet das alles «ziemlich eindrücklich».
Morris ist einer der drei Schweizer Camper. Der Gymnasiast hat sich um die Teilnahme beworben, wie alle anderen auch. Insgesamt gab es mehr als 160 Bewerbungen. Ein Rekord – und noch nie gab es so viele Bewerbungen aus der Schweiz.
Schweiss im Schneetreiben
Dann dürfen die Camper endlich selbst Hand anlegen, so wie es Gletscherforscher wie Samuel Nussbaumer tun. Auf dem Aletschgletscher, 50 Meter Fussweg von der Station der Jungfraubahn entfernt, sollen sie im dichten Schneetreiben einen vier Meter tiefen Schacht graben. Nach drei Stunden haben sie drei Meter geschafft – so anstrengend ist Klimaforschung.
Die frei gelegte Schneewand offenbart, wie viel Schnee seit letztem Herbst gefallen ist. «Hier sieht man verschiedene Schichten», erklärt Nussbaumer und deutet auf die Wand. Jede spiegelt eine Schneefallperiode wieder. Die Jungforscher nehmen einen drei Meter langen Bohrkern aus der Wand. Sie bestimmen sein Gewicht und damit in etwa die Schneefallmenge vom letzten Winter.
TV-Sendung zum Thema
Dieser Wert ist einer von vielen, die Jahr für Jahr für verschiedene Alpen-Gletscher erhoben werden. Anhand des gesamten Datensatzes können Forscher abschätzen, ob die Alpengletscher insgesamt schmelzen oder wachsen. Generell steht es nicht gut um sie. «Bis 2050 wird in den Alpen nur noch etwa ein Viertel der Gletscherfläche vorhanden sein», sagt Nussbaumer.
Die Camper ahnen jetzt, wie Klimaforschung geht. Das mitzuerleben, finden sie cool. Obwohl sie vom Graben alle schwitzen.