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Natur & Tiere «Die Natur ist schön, aber brutal»

Im Berner Oberland gab es in den letzten Jahren grosse Murgänge. Besonders betroffen war das Dorf Guttannen im Haslital. Experten führen diese Erdrutsche auf das Auftauen des Permafrosts im Hochgebirge zurück. Eine Studie untersucht nun, wie er sich entwickelt. Das Ziel: eine neue Gefahrenkarte.

Wenn Albert von Bergen aus dem Fenster blickt, sieht er auf eine Steinwüste. Der Rentner ist am Spreitgraben unterhalb von Guttannen aufgewachsen und will eigentlich auch dort alt werden. Doch ob er noch lange in seinem Haus bleiben kann, ist ungewiss. Das Haus liegt genau unterhalb des Spreitgrabens. Immer mehr Steine und Geröll bedrohen sein Land. Wenn es regnet, wird er unruhig, weil er nicht weiss, ob wieder ein Murgang kommt.

Der Spreitgraben unterhalb von Guttannen: Bis vor wenigen Jahren ein harmloses Bachbett. Seit 2009 bewegt sich aber der Berghang. Bei starken Niederschlägen kommt es immer wieder zu Murgängen. Der Regen weicht den Boden auf und reisst Hänge mit ins Tal. Das Bachbett ist mittlerweile mehrere Meter angehoben – und der Spreitgraben eine Geröllwüste und Gefahrenzone, die mit elektronischen Messgeräten überwacht wird.

Der Boden verändert sich

Wissenschaftler vermuten als Ursache für die Veränderungen, dass der Permafrost weiter oben am Ritzlihorn auftaut. In einer vom Kanton Bern und vom Bund finanzierten Studie wollen sie nun herausfinden, wie er sich verändert. Dazu wurden in diesem Sommer im Berner Oberland an ausgewählten Stationen im Hochgebirge – darunter auch in Guttannen – rund 50 kleine Mess-Stationen im Boden vergraben. Diese sogenannten Logger zeichnen den Verlauf der Temperatur auf. Ihre Daten erlauben es, Rückschlüsse auf Veränderungen im Permafrost zu ziehen.

Konsequenzen für die Raumplanung

In einem zweiten Schritt werden die Temperaturdaten mit einer Modellierung hochgerechnet. Das soll eine Prognose ermöglichen, wie sich das Gefahrenpotenzial durch Murgänge im Berner Oberland in den nächsten 50 Jahren entwickeln wird. Kanton und Gemeinden sollen diese Informationen nutzen können, um potenzielle Gefahrenstellen bei der Raumplanung und grossen Investitionsprojekten zu erkennen.

Dass dies auch negative Folgen für seine Gemeinde haben kann, streitet Guttannens Gemeindepräsident Hans Abplanalp nicht ab. «Wir können den Klimawandel nicht aufhalten», sagt er, «aber das heisst nicht, dass wir in Zukunft die Bergtäler entvölkern werden.»

«Natur ist schön, aber brutal»

Für die Menschen, die in den Nähe des Spreitgrabens leben, hat die Veränderung der Natur bereits jetzt weitreichende Konsequenzen. Bei Murgang-Gefahr wird die Strasse nach Guttannen automatisch geschlossen, rund um das Gebiet des Spreitgrabens warnen Schilder. Mehrere Menschen werden in naher Zukunft ihre Häuser verlassen müssen, denn Experten rechnen mit weiteren grossen Murgängen.

Albert von Bergen ist wahrscheinlich der Erste; sein Haus steht am nächsten beim Spreitgraben. Der 70-jährige Rentner hofft zwar, so lange wie möglich bleiben zu können, ist aber auch Realist. «Ich bin hier geboren und will bleiben, bis ich ins Altersheim muss», sagt er, «aber das Leben ist nicht immer ein Wunschkonzert. Die Natur ist zwar schön, aber auch brutal.»

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