Bleihaltige Munitionsrückstände sind eine Vergiftungsquelle für Aas fressende Greifvögel wie Steinadler und Bartgeier. Das belegt eine neue Studie . Dabei könnten bleihaltige Jagdgeschosse längst durch ungiftige Alternativen aus Kupfer oder Messing ersetzt werden. Doch Bleifrei-Munition hat bei vielen Jägern einen schweren Stand. Die Meinung, sie sei ein Risiko für Querschläger und ihre Tötungswirkung mangelhaft, hält sich hartnäckig.
Zu Unrecht: In Deutschland konnten die Zweifel an der Sicherheit von bleifreien Geschossen in grossen Studien bereits entkräftet werden. Die Versuchs-und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen DEVA legte ihre Daten auch Beat Kneubuehl vor, dem Leiter des Zentrums Forensische Physik/Ballistik an der Uni Bern. Kneubuehl kam in seinem Gutachten zum Schluss, dass für das Querschläger-Risiko nicht das Material – Blei oder bleifrei – entscheidend ist, sondern die Konstruktion eines Geschosses.
Die zuständige Bundesbehörde in Deutschland liess inzwischen auch den Vorwurf untersuchen, dass bleifreie Geschosse das Wild nicht sofort und tierschutzgerecht töten könnten. Die Daten sind zwar noch unter Verschluss, aber offenbar steht fest, dass auch bei der Tötungswirkung die Projektil-Konstruktion und nicht das Material die zentrale Rolle spielt.
Blei ist nicht nur für Tiere gefährlich
Den Gegnern von Alternativ-Geschossen scheinen die Argumente auszugehen, zumal die Folgeschäden des giftigen Schwermetalls seit Jahren belegt sind. Dabei geht es längst nicht nur um aasfressende Greifvögel. Blei hat eine Halbwertszeit von mehr als 20 Jahren und ist auch für den menschlichen Organismus selbst in kleinsten Mengen schädlich.
So erklärte etwa Hanspeter Nägeli, Veterinärtoxikologe an der Uni Zürich gegenüber «Einstein»: «Bei Kindern weiss man vom direkten Zusammenhang zwischen tiefem IQ und hohen Bleiwerten im Blut». Akute Bleivergiftungen sind bei Mensch wie Tier zwar selten; die Aufnahme von Blei kann aber zu chronischen Krankheiten über Jahre und Jahrzehnte führen. Allein schon aufgrund dieser Tatsachen wird sich bleihaltige Jagdmunition mehr lange halten können.
Entenschiessen nur bleifrei
Ähnlich sieht das auch Dominik Thiel. Der Jagdinspektor des Kantons St. Gallen verordnete seinen Wildhütern schon letzten Sommer, dass sie nur noch zu Bleifrei-Munition greifen dürfen. «Wir wissen, dass Blei ein Gift ist und wir haben Alternativen. Deshalb gibt es für mich keinen Grund, weiterhin mit Blei zu schiessen», erklärt er.
Biologe Thiel engagierte sich auch an vorderster Stelle für ein Verbot, das in der Schweiz seit bald zwei Jahren gilt: Die Verwendung bleihaltiger Schrotkugeln auf der Wasservogeljagd. Enten können beim Gründeln verschossene Bleikügelchen fressen, die im Wasser liegen geblieben sind. Drei Kügelchen Blei sollen bereits reichen, damit sich eine Ente bei der Nahrungsaufnahme tödlich vergiftet.
Der verordnete Wechsel auf Stahlschrot und andere Materialien verlief in der Jägerschaft ohne grossen Widerstand. Wahrscheinlich war das Verbot von Bleischrot auch deshalb einfach durchzusetzen, weil der Stellenwert der Entenjagd in der Schweiz mit 6‘000 Abschüssen marginal klein ist im Vergleich zu Ländern wie etwa Dänemark, wo jährlich 700‘000 Enten geschossen werden – übrigens schon seit 1985 nur noch bleifrei.
Bündner Sonderfall
Anders als beim Schrot ist bei einem Wechsel der Kugelmunition von Blei auf bleifrei mit mehr Widerstand in der Jägerschaft zu rechnen. Und er wird wegen eines Sonderfalls auch etwas komplizierter: Von den über 30‘000 Schweizer Jägern ist rund ein Fünftel in den Bündner Bergen unterwegs. Dort wird seit über hundert Jahren mit dem anderswo unüblichen, schwereren Bündner Kaliber geschossen. Diese Munition erlaubt Abschussdistanzen von nicht mehr als etwa 200 Metern, und daran wollen die kantonalen Jagdbehörden aus «wildbiologischen Gründen» um jeden Preis festhalten.
Ein Wechsel auf gängige Kaliber, die auch Treffer aus noch grösseren Distanzen ermöglichen, würde das Wild noch mehr unter Druck setzten. Für Hannes Jenny vom Amt für Jagd und Fischerei in Chur kommt er deshalb nicht in Frage: «Wenn die Jäger weiter schiessen könnten als heute, würde unser erfolgreiches Wildtier-Management an seiner hohen Qualität verlieren.»
Bleifrei ist möglich
Jenny betont, dass er persönlich kein Problem hätte mit einer Umstellung auf bleifrei, wenn ein grosser Munitionshersteller dereinst in genügender Menge und Qualität Geschoss-Alternativen im Bündner Kaliber anbieten würde.
Auf diesen Tag X wollten im Jägerkanton nicht alle warten. Büchsenmachermeister wie Michael Koller aus St.Moritz stellen bleifreie Jagdmunition im Bündner Kaliber seit vielen Jahren selber her. Koller fing mit 200 Bleifrei-Patronen für den Eigenbedarf an. Heute sind es wegen der grossen Nachfrage in der Jägerschaft schon jährlich 6‘000 Stück.
Für den St.Moritzer Büchsenmachermeister steht fest: Die Frage ist nicht, ob sich die Alternativen aus Kupfer oder Messing durchsetzen, sondern höchstens, wann. Für Koller ist die Zukunft der Jagd bleifrei, auch im grossen Jägerkanton Graubünden.