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Aufnahme des Kopfes einer Aga-Kröte. Die Tiere erreichen Körperlängen von mehr als 22 Zentimetern.
Legende: Furchterregend: Grosse Exemplare der Aga-Kröten erreichen Körperlängen von mehr als 22 Zentimetern. Sam Fraser-Smith / Wikipedia

Natur & Tiere Evolution zum Zuschauen

Vor knapp 80 Jahren importierte der Mensch die Aga-Kröte nach Australien. Die Riesenkröten sollten Käfer fressen, die Zuckerrohrplantagen verwüsteten. Das hat nicht geklappt, aber die Kröte hat sich etabliert – und bringt die Fauna durcheinander. Erst langsam verstehen Forscher, was vor sich geht.

1935 setzten Zuckerrohrfarmer gut hundert Aga-Kröten aus; daraus sind inzwischen mehr als eine Milliarde Tiere geworden – verteilt auf 1,5 Millionen Quadratkilometer. Das entspricht etwa 40 Mal der Fläche der Schweiz, und die Eroberung ist noch nicht zu Ende. Etwa 500'000 Quadratkilometer potenzieller Lebensraum ist nämlich noch frei.

Und überall, wo die Kröten auftauchen, geht es zum Beispiel Schlangen an den Kragen. «Eine Schlange, die normalerweise Frösche frisst, hält die Kröten für leichte Beute. Sie jagt sie, frisst sie, und stirbt daran», sagt Biologe Ben Phillips von der James Cook Universität in Townsville, Queensland.

Tödliche Waffe gegen die Fressfeinde

Denn die Kröten sind giftig. Drüsen in ihrer Haut auf dem Rücken sondern ein Gift ab, das dem des Fingerhuts ähnelt. Einem Tier, das eine Kröte frisst, bleibt schlicht das Herz stehen. Zunächst befürchteten Naturschützer, die Schlangen Australiens hätten praktisch keine Chance gegen die Kröten.

Aga-Kröte auf einem steinigen Untergrund.
Legende: Bis zu 2,5 Kilogramm Körpergewicht: Einst nur auf dem amerikanischen Kontinent daheim, zählt die Aga-Kröte nun zu den weltweit meist verbreiteten Amphibien. User: Froggydarb / Wikipedia

Doch dann zeigte sich: Manche überlebten doch. «Einige Schlangen fressen einfach keine Kröten», sagt Phillips, «warum auch immer, sie interessieren sich nicht dafür und so überleben sie die Kröten-Invasion.» Zudem variiert, wie gut die Schlangen das Gift vertragen. Und schliesslich spielt auch die Körpergrösse eine Rolle: Kleinere Schlangen können die grossen Kröten gar nicht packen und sich also auch nicht an ihnen vergiften. So überleben immer einige Schlangen – und die Population erholt sich mit der Zeit.

Das ist Evolution zum Zuschauen: Die Schlangen führen den Forschern vor, wie anpassungsfähig sie sind. Phillips findet das zwar spannend, doch ein Grund zur Freude ist es für ihn nicht. Denn bis sich die Schlangenpopulation in einem Gebiet erholt hat, kann es Jahrzehnte dauern. Bedeutet: Dort, wo die Kröte gerade erst ankommt, wird Phillips nicht mehr miterleben, wie die Schlangen zurückkehren – wie in den berühmten Kimberley Hills im Nordwesten des Kontinents.

Lernfähige Krokodile auf Krötenjagd

Wie den Schlangen ergeht es auch Waranen, Zwergbeutelmardern und Krokodilen. Um letztere kümmert sich Biologe Adam Britton von der Charles Darwin Universität in Darwin. Er hat herausgefunden, dass die Art der Krokodile, Beute zu zerlegen, in diesem Fall ein Glücksfall ist: Die Grossechsen schütteln ihre Beute, bis ein Stück abreisst, das sie schlucken können.

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Legende: Aga-Jäger: Das Australien-Krokodil lebt in Süssgewässern im Norden des Landes und gehört zu den Fressfeinden der Aga-Kröte. Charles Darwin University

Das tun sie auch mit den Kröten. Wenn sie dabei die Hinterbeine erwischen, haben sie Glück gehabt. «Die können sie nämlich fressen, denn die Beine sind nicht giftig», erzählt Adam Britton, «wenn das Krokodil dabei noch etwas Gift aus den Drüsen am Rücken abbekommt, stirbt es zwar nicht gleich – aber es lernt, dass es Kröten besser nicht anrührt.»

Ein unerwarteter Effekt

Phillips, Britton und ihre Kollegen interessieren sich aber nicht nur für die Opfer der Kröten-Invasion. Sie wunderten sich auch darüber, dass die Kröten bei ihrer Ausbreitung Jahr für Jahr schneller voran kamen. Waren es anfangs nur zehn Kilometer pro Jahr, sind es heute um die 55 Kilometer. Warum? Um das herauszufinden, sahen sich die Forscher die Lebensweise der Tiere genauer an. «Dafür mussten wir raus ins Gelände», erzähl Phillips, «die Kröten mit kleinen Radiosendern ausstatten und ihre Bewegungen genau verfolgen.»

Acht Jahre lang spürte er mit seinem Team Hunderten von Kröten nach. Es zeigte sich: Die Tiere an vorderster Front des Ausbreitungsgebiets waren immer die schnellsten und agilsten. Die trägeren Tiere fanden sich weit dahinter. Das hat Konsequenzen, so Philllips: «Wir nennen es den ‹Olympisches Dorf›-Effekt. Die Athleten unter den Kröten treffen aufeinander und zeugen Nachwuchs. Und der ist dann noch agiler und breitet sich noch schneller aus.»

Kröten-Strategie – eine Chance für andere

Dieser Effekt erklärt auch, warum die Ausbreitung invasiver Arten bisher so oft unterschätzt wird. Und er macht Hoffnung für ein ganz anderes Problem, erläutert Phillips. «Bei Arten, die wegen des Klimawandels wandern müssen, können wir erwarten, dass sich auch da die Geschwindigkeit mit der Zeit steigert.»

Und dies womöglich auch bei solchen Arten, von denen Forscher zurzeit befürchten, dass sie mit der Erderwärmung nicht Schritt halten und aussterben könnten. Ein Funken Hoffnung also für Klimaflüchtlinge.

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