Auch ohne wissenschaftlichen Beweis: Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (Ekah) empfiehlt, unseren Umgang mit Fischen neu zu überdenken. Dass diese Tiere Schmerzen empfinden, so die Begründung, könne «nicht ausgeschlossen» werden.
Das Phänomen ist komplizierter als manche Laien meinen. Schmerzen entstehen im Gehirn. Sie sind eine Reaktion auf Nervenimpulse, die uns signalisieren, dass unser Körper in Gefahr ist. Dass auch viele Tiere Schmerzen verspüren können, scheint intuitiv klar zu sein – das Jaulen eines Hundes, wenn man ihm unbeabsichtigt auf die Pfote tritt, spricht Bände.
Doch fragen kann man auch den Hund nicht. Ob er tatsächlich Schmerzen empfindet, lässt sich deshalb nur indirekt nachweisen – mit einer Art Checkliste aus der Forschung.
Schmerz durch Nerven und Hirnareale
Die Grundvoraussetzung sind bestimmte Nervenendigungen, die vorhanden sein müssen, um einen Schmerzreiz überhaupt erst wahrzunehmen. Diese so genannten Nozizeptoren besitzen auch Fische, doch das weiss man erst seit gut zehn Jahren – vorher hatte einfach nie jemand danach gesucht.
Der Schmerzreiz muss zudem über Nervenbahnen ins Gehirn eines Tieres geleitet werden können. Dort erst entsteht der Schmerz und äussert sich als unangenehme Empfindung. Dies findet im Neocortex statt, einem Teil des Grosshirns. Lange war man der Überzeugung, dass ohne einen Neocortex keine Schmerzen wahrgenommen werden können.
Doch diese Sichtweise geriet in letzter Zeit ins Wanken. «Man weiss heute, dass die Schmerzwahrnehmung in verschiedenen Gehirnarealen passiert. Und Teile dieser Gehirnareale findet man auch beim Fisch», erklärt Helmut Segner, Professor an der Universität Bern und Leiter der Fisch- und Wildtiermedizin.
Verhaltensweisen als Indizien
Von den anatomischen Voraussetzungen her scheint es also möglich, dass auch Fische Schmerzen empfinden könnten. Was laut der Checkliste für einen Beweis nötig wäre, sind Experimente, die zeigen, wie Fische auf einen Schmerzreiz reagieren. Dazu müssten sie Verhaltensweisen zeigen, die klar erkennen lassen, dass ihnen der Reiz unangenehm ist.
Zum Beispiel? Das Reiben von betroffenen Körperteilen liesse darauf schliessen. Oder auch das ganz klare Vermeiden von Situationen, die den Schmerzreiz auslösen. Doch solche Experimente lassen viel Raum für Interpretationen.
Essigsäure in die Flossen
Eine der führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet ist die schottische Biologin Lynne Sneddon. Sie forscht vor allem an Regenbogenforellen, die sie in vielen kleinen Aquarien in ihrem Versuchslabor hält. Sie setzt ihre Fische verschiedenen Behandlungen aus, von denen sie vermutet, sie könnten Schmerzen verursachen. Beispielsweise spritzte sie den Fischen kleine Mengen von Essigsäure unter die Haut.
Nach der Injektion rieben sich die Fische an den Wänden der Tanks, erzählt Sneddon. Spritzte sie den Fischen aber gleichzeitig mit der Säure auch ein schmerzstillendes Mittel, dann reiben sie sich deutlich weniger an der Wand. Auch dies, die Reaktion auf schmerzstillende Mittel, ist ein weiterer Punkt auf der Checkliste für Schmerzempfinden.
Differenzen unter Biologen
«Die Forschergemeinde ist ziemlich genau in der Mitte gespalten» sagt Fischexperte Segner. Rund die Hälfte halte es für erwiesen, dass Fische Schmerzen empfinden können. Die andere Hälfte sei skeptisch bis ablehnend und hielt die Reaktionen der Tiere für Reflexe, die automatisch abliefen. «Man wird nie einen hundertprozentigen Beweis haben. Man hat Hinweise», sagt Segner.
Ethik im Umgang mit Fischen
Debatte über Konsequenzen
Im aktuellen Bericht der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich heisst es aufgrund dieser Hinweise, dass die Menschen überdenken sollen, wie sie mit Fischen umgehen. Diese Sichtweise könnte durchaus handfeste Konsequenzen nach sich ziehen.
Zum Beispiel für die Fischzucht, wo die Tiere in so genannten Aquakulturen oft eng zusammengepfercht leben. Man müsse sich fragen, ob man die Massentierhaltung tatsächlich auch mit Fischen durchführen sollte, sagt Markus Wild, Philosophieprofessor an der Universität Basel und Mitglied der Ethikkommission.
Sachkunde-Nachweis für Angler?
Auch in der Fischerei wären Änderungen nötig, wenn man den Fischen ein klares Schmerzempfinden zuschreiben würde.
So fordert die Ethikkommission denn auch, dass nur noch angeln darf, wer über einen so genannten Sachkunde-Nachweis verfügt – und somit weiss, wie man einen Fisch töten muss, damit er möglichst wenig leidet. Ob sich die Forderungen der Ethikkommission in Gesetzen niederschlagen werden, wird sich erst noch zeigen.