Ein Kälbermast-Betrieb über dem Hallwilersee: Je 25 Kälber stehen zusammen in einem Stall-Abteil. Sie sind rund fünf Monate alt und damit bald reif für die Schlachtung. Gemästet werden sie von Beat Gloor, der den Mast-Betrieb in dritter Generation betreibt. Doch geboren wurden die Tiere nicht auf seinem Hof, sondern bei verschiedenen Milchbauern. «Jedes der 25 Kälber kommt von einem anderen Betrieb», sagt Gloor.
Das Zusammenlegen der Tiere von verschiedenen Geburtsställen führt dazu, dass die Tiere krank werden. Denn die Kälber bringen unterschiedliche Krankheitserreger mit und stecken sich damit gegenseitig an. «Dazu kommt, dass die Kälber durch den Transport gestresst sind und die ganze Umstellung gesundheitlich nicht gut verkraften», sagt Mäster Gloor. Besonders Lungenentzündungen sind bei den Kälbern häufig, aber auch Durchfall und Ohrenentzündungen setzen ihnen zu.
Kälbermast umkrempeln
Die Durchmischung der Tiere bei der Mast ist eine der Ursachen für den hohen Antibiotika-Einsatz in der Schweizer Landwirtschaft. Der Bund möchte deshalb die Kälbermast in der Schweiz umkrempeln und fordert in einem Strategie-Entwurf «Strukturveränderungen» – sprich die Kälber sollen auf ihren Geburtsbetrieben bleiben und dort gemästet werden.
Doch Bauernkreise halten den Vorschlag des Bundes für realitätsfremd. «Eine Mast, die nur auf den Herkunftsbetrieben stattfindet, ist heute nicht möglich», sagt Martin Rufer vom Schweizer Bauernverband. «Die Betriebe haben sich aufgrund wirtschaftlicher Aspekte stark spezialisiert in den letzten Jahren.»
Kälber werden gross gehungert
Tatsächlich funktioniert die Kälbermast heute nach dem Prinzip der extremen Arbeitsteilung – vor allem im Schweizer Mittelland. Auf den Betrieben der Milchbauern, wo die Kälber auf die Welt kommen, sind sie ein Nebenprodukt: Nur wenn die Milchkühe regelmässig Junge gebären, geben sie Milch. Doch die Aufzucht des Kalbes lohnt sich für den Milchbauern nicht. «Pro Tag benötigt ein durchschnittliches Kalb zwischen acht bis zehn Liter Milch», sagt Tierärztin Corinne Bähler, Beauftragte für Tierarzneimittel bei der «Gesellschaft Schweizer Tierärzte und Tierärztinnen». Doch auf vielen Milchbauernhöfen erhielten die Kälber nur die Hälfte. Experten sprechen von einer Strategie des «gross Hungerns».
Der Grund: Der Milchbauer möchte die Milch lieber verkaufen, als sie dem Kalb zu geben, denn sonst schmilzt der sowieso schon geringe Gewinn, den das Kalb abwirft, dahin. Ungenügend ist auch die Versorgung mit dem sogenannten Kolostrum. Das ist jene Milch, welche die Mutterkuh in den ersten Tagen nach der Geburt produziert und die grosse Mengen an schützenden Antikörpern enthält. Je mehr von diesem Kolostrum das Kalb erhält, desto besser ist es vor Krankheiten geschützt.
Keine Zeit für die Kälber
Die Pflege des Kuh-Nachwuchses ist aufwendig – ausser Milch kostet die Pflege auch viel Zeit. Häufig würden die Jungtiere jedoch nicht aufmerksam genug betreut, sagt Tierärztin Corinna Bähler. Das habe auch damit zu tun, dass heute viele Bauern einem zweiten Job ausserhalb des Hofes nachgehen und die Bauersfrau ebenfalls auswärts berufstätig sei. Niemand habe mehr Zeit, sich richtig um die Kälber zu kümmern.
Der Schweizer Tierschutz vermutet gar, dass einige Milchbauern ihre Kälber unmittelbar nach der Geburt töten. Betroffen seien vor allem die männlichen Jungtiere der Hochleistungs-Kühe Holstein und Red Holstein, da diese Rassen einseitig auf Milchleistung gezüchtet wurden und ihre Jungtiere während der Mast besonders schlecht Fleisch ansetzen.
Anreize für die Bauern schaffen
Dass die Kälber heute für die Milchbauern wenig lukrativ sind, weiss auch der Bund. In der «Strategie Antibiotikaresistenzen» ist deshalb von Anreizsystemen die Rede, um das System zu ändern. Ob es sich dabei um neue Subventionen handeln soll, wird nicht näher erläutert.
Tierärztin Corinne Bähler hält wenig von Subventionen. Doch auch sie ist der Ansicht, dass der Weg zu gesünderen Kälbern – und damit zu weniger Antibiotika – über das Portemonnaie führt. Ihr Vorschlag: Vom Ladenpreis, den die Konsumenten für das Kalbfleisch bezahlen, sollen die Bauern einen grösseren Anteil erhalten. «Der Bauer erhält heute etwa einen Viertel des Ladenpreises. Es stellt sich die Frage, ob dieses Verhältnis angemessen ist.»