Zum Inhalt springen
Ein Traktor spritzt Pestizide auf ein Rapsfeld.
Legende: Wie können wir die Welt ernähren? Experten sehen die intensive Landwirtschaft, wie sie auch in der Schweiz betrieben wird, nicht als Modell der Zukunft. Imago

Natur & Tiere Mit Giftspritzen lässt sich keine Zukunft pflanzen

Das Motto der Expo in Mailand lautet «Den Planeten ernähren». Eine zentrale Frage: Welche Landwirtschaft ist sinnvoll, um die weltweiten Probleme mit dem Hunger zu lösen? Wäre die Schweiz ein Vorbild? Hier ist die Landwirtschaft fest in den Händen der Agrochemie. Nebenwirkungen eingeschlossen.

2013 sind 14 Millionen Menschen an Hunger und seinen direkten Folgen gestorben. Das ist fast die doppelte Einwohnerzahl der Schweiz. So die bittere Bilanz des ehemaligen Uno-Berichterstatters für Recht auf Nahrung, Jean Ziegler. Fast 90 Prozent der Menschen, die unter Hunger leiden, haben schlicht keinen Zugang zu Nahrung. Hunger ist ein Problem der falschen Verteilung und der falschen Lagerung von Nahrungsmitteln. Es ist aber auch eine Frage der Herstellung von Nahrung – der Landwirtschaft. Doch welche Landwirtschaft ist die richtige für die Zukunft, um dieses Problem zu lösen?

Intensive Schweizer Landwirtschaft

Zu dieser Frage herrschen gegensätzliche Meinungen, die bereits im Vorfeld der diesjährigen Weltausstellung in Mailand für hitzige Köpfe gesorgt haben (siehe Box). Wir in der Schweiz betreiben eine sehr intensive Landwirtschaft. Sie gehört sogar zu den intensivsten weltweit. Die Nahrungsmittelproduktion hierzulande geschieht mit sehr viel Energie. Kann das eine Antwort auf die Hunger-Problematik sein?

Die Diskussion um Syngenta

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: EDA, Präsenz Schweiz und Nightnurse

Der Schweizer Expo-Pavillion wird von Syngenta mitgesponsort. Zumindest für diejenigen, die sich für eine naturnahe Landwirtschaft einsetzen, ist das problematisch. Der Agrar-Multi, der sein Geld mit patentiertem Saatgut und Pestiziden verdient, könne sich so in ein günstiges Licht rücken und seine Strategie gegen Hunger und Armut propagieren. Mehr

Die eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope hat errechnet , dass Schweizer Landwirte auf einem Feld von 10'000 Quadratmetern durchschnittlich 1400 Liter Heizöl einsetzen – pro Jahr und wenn man alle Hilfsmittel und deren graue Energie aufsummiert. Das ist weit mehr als der Verbrauch eines durchschnittlichen EU-Bauern und ein Vielfaches eines Bauern in einem Entwicklungsland.

Hoher Pestizideinsatz

Dass die Schweizer Landwirtschaft besonders intensiv ist, zeigt sich auch am Einsatz von Pestiziden: Bauern spritzen gegen Insekten, gegen Pilze, gegen Gräser und Kräuter. «Wir können mit Pflanzenschutzmitteln unsere Kulturpflanzen schützen», sagt Martin Rufer, Geschäftsleitungsmitglied des Schweizer Bauernverbands. «Pflanzenschutzmittel helfen, die Erträge und die Qualität zu sichern und darum sind Pflanzenschutzmittel wichtig in der Landwirtschaft».

Offenbar sind sie so wichtig, dass der Schweizer Durchschnittsbauer bis zur Ernte seiner Kartoffeln acht bis zwölf Mal mit der Spritze durch die Reihen fährt. Die Schweizer Landwirtschaft ist Pestizid-intensiv, das stellt auch eine im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft erstellte Studie von 2013 fest. Sie deckt auf, dass die gekaufte Menge an Pestiziden pro Hektare landwirtschaftliche Nutzfläche in der Schweiz sogar höher ist als in Deutschland, Österreich und Frankreich.

Martin Rufer wendet ein, in dieser Studie würden Äpfel mit Birnen verglichen. «Wir haben in der Schweiz relativ viele Spezialkulturen, das heisst Reben für den Weinbau, wir haben viel Obst, wir haben auch viel Gemüse, das sind intensive Kulturen, wo man relativ viele Pflanzenschutzmittel einsetzen muss. Und man kann diese Kulturen nicht mit sehr extensiven Kulturen vergleichen.» Wie zum Beispiel Weizen, der in den Nachbarländern häufiger angebaut wird als hierzulande und weit weniger Pestizide benötigt.

Bei Risiken und Nebenwirkungen…

Doch der intensive Pestizideinsatz hat ungewollte Nebenwirkungen. Insekten werden resistent und die Mittel verlieren ihre Wirkung. Bauern erleiden so Totalausfälle ihrer Ernte – trotz mehrerer Insektizid-Spritzungen. Pflanzenschutzmittel sind zudem mitverantwortlich, dass die Biodiversität im Land abnimmt. Laut Monitoring des Bundes sind ein Drittel aller Säugetiere, Vögel und Pflanzen sind bedroht.

Nicht zuletzt stehen sie im Verdacht, die menschliche Gesundheit zu schädigen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft das meist verkaufte Herbizid Glyphosat, das auch in der Schweiz eingesetzt wird, als «wahrscheinlich krebserregend» ein.

Ein Kurswechsel drängt

Die auf Pestiziden basierende Landwirtschaft ist in einer Sackgasse. Dennoch spricht der Bauernvertreter der Schweizer Landwirtschaft Lob aus: «Ich glaube, wir sind ein gutes Vorbild auch für andere Länder». Die Agroindustrie dürfte diesem Urteil zustimmen. Der Schweizer Agronom Hans Rudolf Herren tut das nicht.

Herren war Co-Vorsitzender im Expertengremium des Weltagrarberichts und glaubt nicht, dass der flächendeckende Einsatz einer Hightech-Landwirtschaft ein Vorbild für Entwicklungsländer ist, in denen Hunger ein dringliches Problem ist. Er sagt, dass es einen raschen Kurswechsel braucht, um den Hunger zu bekämpfen: weg von der konventionellen industriellen Landwirtschaft hin zu einer naturnahen, ökologischen und lokalen Landwirtschaft. Zu diesem Schluss kamen Herren und über 400 Wissenschaftler aus rund 60 Ländern im Uno-Weltagrarbericht.

Verschiedene Modelle in Mexiko, Japan oder Kenia (siehe Video links) zeigen bereits, dass dieser Weg erfolgversprechend ist. Doch die Umsetzung ist nicht einfach. Ökologische Landwirtschaft braucht modernstes Wissen über den Pflanzenanbau. Es gehe darum, dass man die Natur beobachte und kopiere – dass man sie brauche, um zu helfen, sagt Herren: «Es wird nur funktionieren, wenn die Staaten mehr Verantwortung übernehmen in der Forschung, Umsetzung und Beratung».

Das Fazit des Uno-Expertengremiums ist klar: Die intensive Landwirtschaft ist im Kampf gegen den Welthunger nicht die richtige Antwort.

Meistgelesene Artikel