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Ein Star hält mehrere Insekten im Schnabel, die er gesammelt hat.
Legende: Insekten-Sammler: Auch Stare gehören zu den Arten, die laut einer Studie durch moderne Insektizide in Gefahr sind. Radboud University, Jouke Altenburg

Natur & Tiere Vogelsterben durch berüchtigtes Insektizid

Neonicotinoide werden von Herstellern als hoch effiziente Insektengifte angepriesen. Das sind sie tatsächlich: Sie töten auch, wenn sie nicht sollten. Wo diese Pestizide eingesetzt werden, nehmen die Vogelbestände dramatisch ab.

Die Resultate sind beängstigend. Und sie weisen auf einen bisher nicht beachteten Domino-Effekt hin. Pestizide dezimieren nicht nur die Insekten, die bekämpft werden sollen. Sie reduzieren auch das Nahrungsangebot für Vögel.

Die Autoren der aktuellen Studie in der Fachzeitschrift «Nature» haben sich eines jener Pestizide vorgenommen, das mit dem Bienensterben in Verbindung gebracht wird: das verbreitete und umstrittene Neonicotinoid Imidacloprid. Diese Klasse von Insektengiften wird seit Mitte der 1990er Jahren weltweit in grossen Mengen eingesetzt. Sie gilt als nicht direkt gefährlich für Wirbeltiere. Indirekt, so zeigt die Studie aus den Niederlanden, scheint sie es aber doch zu sein.

Vogelbestände deutlich dezimiert

Das Forscher-Team von der Radboud Universität in Nijmegen hat zwei Langzeit-Messungen mit Daten aus allen Regionen der Niederlande ausgewertet. Die Analyse offenbart zum ersten Mal einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von so genannten Neonicotinoiden und dem Niedergang der Vogelpopulationen.

Das Resultat: Bei einer Konzentration von mehr als 20 Billionstel Gramm pro Liter Oberflächenwasser ging die Zahl der Vögel – Staren, Lerchen, Schwalben, Spatzen und andere – um durchschnittlich dreieinhalb Prozent pro Jahr zurück. Hochgerechnet auf den beobachteten Zeitraum zwischen 2003 und 2010 entspricht das einem Rückgang von mehr als einem Viertel des Vogelbestands.

Brutzeit für Bestand entscheidend

Lukas Jenny, wissenschaftlicher Leiter an der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, bezeichnet diesen Abwärtstrend über mehrere Jahre hinweg als dramatisch. Doch das Ergebnis erstaunt ihn nicht: «Diese Pestizide sind da, um Insekten zu vernichten. Damit verringert sich auch die wichtigste Nahrungsgrundlage von vielen Vogelarten. Es verwundert deshalb gar nicht, dass mit den Insekten auch die Vögel verschwinden.»

Besonders einschneidend ist diese Entwicklung in der Brutzeit. Denn für die erfolgreiche Aufzucht der Jungvögel ist es unentbehrlich, dass Insekten in genügender Menge vorhanden sind.

Langzeitfolgen kaum abzusehen

Von den verantwortlichen Agrochemie-Konzernen als hochwirksame und gezielt einsetzbare Schädlingsvernichter angepriesen, entpuppen sich Neonicotinoide zunehmend als Umweltrisiko. Sie bauen sich in der Umwelt nur langsam ab. Zudem werden sie wegen ihrer hohen Wasserlöslichkeit aus den Feldern in umliegende Gewässer und Wiesen geschwemmt. Und sie sind im Verdacht, eine der Hauptursachen des weltweiten Bienensterbens zu sein.

Seit vergangenem Jahr dürfen in der EU Pestizide dieser Stoffgruppe nur noch beschränkt eingesetzt werden. Zum Schutz der Bienen dürfen für vorerst zwei Jahre in Mais- Sonnenblumen- Raps und Baumwollkulturen keine Neonicotinoide mehr eingesetzt werden. Vor kurzem hat auch die Schweiz nachgezogen mit einem zeitlich begrenzten Verbot von behandeltem Raps- und Maissaatgut.

Die betroffenen Produzenten Syngenta und Bayer haben beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die EU-Verbote eingereicht.

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