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Natur & Tiere Wenn Elefanten zu Zwergen werden

Elefanten sind heute der Inbegriff eines grossen Tieres. Doch das war nicht immer so: Manche von ihnen schrumpften vor vielen Jahrtausenden auf Miniformate von unter einem Meter Schulterhöhe. «NETZ NATUR» begibt sich auf Spurensuche.

Es sieht aus, wie ein flacher, runder Kuchen von 25 Zentimeter Durchmesser, der in der brüchigen Felswand steckt – ein Kuchen aus Sandstein. In einem Felsabbruch macht sich der Paläontologie-Professor Gian Luigi Pillola daran, einen spektakulären Fund sorgfältig zu vermessen und zu fotografieren. Nichts deutet darauf hin, dass sich hier, mitten in der dicht bewachsenen Hügellandschaft bei Gonnesa im Südwesten der Mittelmeerinsel Sardinien einst Mammutherden tummelten. Nicht etwa die behaarten Riesen mit den imposanten Stosszähnen, wie man sie aus  Schulbüchern kennt, sondern Zwergformen, die knapp eineinhalb Meter Grösse erreichten. Das belegt der Sandsteinkuchen im Fels: Es ist der Fussabdruck eines Zwerg-Mammuts.

Dass einst Zwerg-Mammuts auf Sardinien lebten, beweisen auch Knochenteile von zwei Füssen, Rückenwirbel, Rippen und Beinknochen, die bereits 1881 bei Erdarbeiten entdeckt wurden, als die Eisenbahnlinie durch diese Gegend gebaut wurde. Zudem fand man ein zehn Zentimeter grosses Stück eines Stosszahns, der die typische Strahlenstruktur von Mammut-Stosszähnen aufweist. Auch in anderen Teilen der Insel fand man Teile dieser urtümlichen Rüsseltiere: Bei San Giovanni di Sinis, wo die Brandung des Meeres alte Steinschichten an der malerischen Küste freilegt und auch bei Alghero fand man Backenzähne, die zu den Funden bei Gonnesa passten.

Inseln als Zwergenland

Die Zwerg-Mammuts von Sardinien sind kein Einzelfall: Auf Sizilien wurden vollständige Skelette von Mini-Elefanten ausgegraben, und weiter östlich im Mittelmeer, etwa auf der griechischen Insel Tilos, fand man Reste von Elefantenzwergen. Dort scheinen sie sogar bis 3300 Jahre vor heute gelebt zu haben. Das Phänomen, dass Tiere, die nachweislich von normal grossen Vorfahren abstammen, auf Inseln Zwergwuchs entwickeln, ist nicht nur auf Elefanten beschränkt. Man kennt es auch von Flusspferden, Wölfen und Füchsen oder Rentieren. Und sogar von Menschen: Auf der südostasiatischen Insel Flores fand man Überreste einer zwergwüchsigen Menschenart, die dort vor 18‘000 Jahren lebte.

Wie kommt es zum Zwergenwachstum?

Natürlich fragten sich die Wissenschaftler, warum es gerade auf Inseln immer wieder zu solch  markanter Verringerung der Körpergrösse kam. Um dies zu beantworten, muss man wissen, wie die Welt aussah, als die Vorfahren dieser Zwergformen vor Zehntausenden oder gar Hunderttausenden von Jahren lebten – und wie sie auf die Inseln kamen.

Die Antwort liegt in der Klimaentwicklung: Wenn in einer Eiszeit durch die massive Klima-Abkühlung auf dem Festland riesige Eispanzer entstanden, fehlte das gefrorene Wasser im Meer und der Meeresspiegel senkte sich. So entstanden Landbrücken als Zugänge zu Inseln, die von vielen Tieren genutzt wurden. Als sich die Erde wieder erwärmte, schmolz das Eis. Die Meeresspiegel stiegen an und trennten die Inseln vom Festland. Doch die Tiere blieben.

Klein ist vorteilhaft

Auf dem knappen Raum einer Insel entstand bald Konkurrenz um Futter und geeignete Lebensräume. Dazu gab es oft keine Fleischfresser als Feinde – sie sind die ersten, die aussterben, wenn das Futter knapp wird. Ohne Fressfeinde braucht es auch keine imposante Körpergrösse zur Abwehr mehr. Klein sein wurde zum Vorteil, weil es weniger Nahrungs- und Wasserverbrauch bei knappem Angebot bedeutete. Auf den Inseln setzte sich wohl dieser Überlebens-Vorteil bei der Fortpflanzung durch.

So weiss man aus Untersuchungen von Genmaterial aus Knochen, dass auf Sardinien einst riesige Steppenmammuts und auf Sizilien der mächtige Eurasische Altelefant mit bis zu fünf Meter Höhe und sieben Tonnen Gewicht die Vorfahren der Zwerge waren, die viele Jahrtausende später die Inseln besiedelten. Heute sind Riesen und Zwerge ausgestorben. Doch die Evolution steht nicht still: Vor kurzem hat man auf Borneo eine ungewöhnlich kleine Elefantenform bestimmt, die vielleicht den neuerlichen Beginn der Bildung einer Zwergform auf einer Insel einleitet.

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