Ein Gläschen zu viel kann glatt das Leben retten. Zumindest vom Standpunkt einer Fruchtfliege aus betrachtet. Wo Obst faulig und somit alkoholhaltig ist, fühlen sich diese Insekten so richtig daheim. Und auch ihre Nachkommen sind schon im Larvenstadium bemerkenswert geeicht. Denn: «Wenn die Larven von parasitären Wespen attackiert werden, nehmen sie daraufhin mehr und mehr Alkohol auf. Das tötet die Wespen,» erklärt Jaap De Roode, Biologe an der Emory University in Atlanta, im US-Bundesstaat Georgia. Man könnte also sagen: Fruchtfliegen bechern sich gesund.
Doch diese Insekten sind nicht die einzigen Tiere, die gezielt Selbsttherapie betreiben. In einem jüngsten Artikel in der Fachschrift «Science» beschrieben Jaap De Roode und zwei seiner Kollegen, wieviele Arten sich ähnlich verhalten. Finken und Hausspatzen im urbanen Raum polstern beispielsweise ihre Nester gerne mit Zigarettenstummeln. Das reduziert lästige Hautparasiten.
Die bittere Pille für Schimpansen
Die Selbstmedikation von Tieren nennt sich im Fachjargon Zoopharmakognosie. Dass dies überhaupt ein Forschungsthema wurde, darf man den Primatologen verdanken: Schimpansenforscher beobachteten, dass Tiere, die sichtlich unter Parasitenbefall litten, zu bitterer Medizin griffen. Von einem Strauch namens Vernonia amygdalina brachen sie Zweige ab, schälten diese und kauten am Mark des Stengels. Die Blätter frassen sie nie: «Rinde und Blätter sind giftig», erklärt Michael Huffman vom Primatenforschungszentrum an der Universität Kyoto.
Diese ersten Beobachtungen von Selbstmedikation bei Schimpansen leistete dem Eindruck Vorschub: Nur Tiere mit hohen kognitiven Fähigkeiten können sich selbst medizinisch behandeln. «Davon ist keine Rede», meint aber Michael Huffman. «Jedes Individuum – vom Menschen bis zum Monarchschmetterling – ändert bei Unwohlsein oder Erkrankung seine Nahrungsaufnahme und seine Geschmackspräferenz. Dieses Verhalten ist angeboren.»
«Das ist ein Triumph der Evolution»
Schimpansen lernen von den Erwachsenen der Gruppe, auf welche Art und Weise sie welche Pflanze fressen können. Doch wie erwerben Tiere, die nur dem Instinkt folgen, die Fähigkeit, sich selbst zu heilen? «Das ist ein Triumph der Evolution», meint Michel Chapuisat von der Universität Lausanne. Er beschäftigt sich damit, wie und warum ganz gewöhnliche Waldameisen Harzstückchen in ihre Haufen tragen.
Doch die Insekten schleppen auch viele andere Dinge, wie etwa Steinchen in den Bau. Irgendwann setzten sich jene Ameisen durch, die sich ans Harz hielten. Denn Baumharz wirkt desinfizierend. «Sie plazieren es auch neben den Eiern. Egal, ob diese von Parasiten befallen sind oder nicht. Sie betreiben also eine Art Prophylaxe.»
Neue Wirkstoffe für Humanmedizin?
Auch Monarch-Schmetterlingen liegt an der Gesundheit ihres Nachwuchses. Im Laborversuch hat sich gezeigt: Mit Parasiten infizierte Weibchen legen ihre Eier auf der so genannten tropischen Seidenpflanze ab. Denn diese enthält Cardenolide, die Parasiten töten.
Welche Substanzen die Eier der Monarchschmetterlinge vor Parasiten schützen, identifizierte Mark Hunter in seinem Labor an der University of Michigan. Denn: Hinter dem Interesse an der Selbstmedikation der Tiere steckt nicht nur Neugier. «Wir erhoffen uns Fortschritte in der Humanmedizin», erklärt der Chemie-Ökologe und nennt ein Beispiel: «Paviane fressen die Blätter und Früchte der Wüstendattel. Doch das tun sie nur in Gegenden mit hoher Ansteckungsgefahr von Bilharziose».
Was Pavianen recht ist, könnte Menschen billig sein. Wirkstoffe der Wüstendattel werden nun im Labor getestet, ob man daraus ein Medikament gegen diese gefährliche Wurmerkrankung entwickeln kann.