Der Ätna liegt 3300 Meter über Meer. Ungefähr jedenfalls. Denn die Höhe dieses höchsten Vulkans Europas variiert laufend, je nachdem wie viel neue Lava sich zuoberst gerade auftürmt oder wieder zusammenbricht.
Doch der ganze Berg ist in Bewegung: Jahr für Jahr rutscht er an der meerzugewandten Seite im Südosten zwei, drei Zentimeter in die Tiefe – der Küste entgegen. Viele Häuser, die dort stehen, werden regelrecht auseinandergerissen und die Strassen jedes Jahr neu geteert.
Neue Messungen unter Wasser
Zwar wird das Gelände mittels GPS-Sensoren im Gelände überwacht. Diese funktionieren nur an Land. Der Vulkan geht aber unter Wasser weiter, stellenweise bis 2000 Meter tief.
Deswegen war das wahre Ausmass des instabilen Hangs bisher unbekannt. Erstmals hat nun ein deutsch-italienisches Forschungsteam die «Terra incognita» unter Wasser vermessen.
Studie
Das Team montierte Geräte am Meeresboden, die einander akustische Signale zusenden. Weil die Schallgeschwindigkeit unter Wasser bekannt ist, kann man mit dieser Methode die Distanz zwischen den Geräten berechnen beziehungsweise, ob der Boden unter ihnen sich verschiebt.
Viel instabiler als gedacht
Fazit nach 15 Monaten: Die Südost-Flanke des Ätna bewegt sich unter dem Meeresspiegel etwa gleich stark wie an Land. Dazu kommt: «Das instabile Gelände ist viel grösser als bisher gedacht», sagt Morelia Urlaub vom Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. «Wir können jetzt zeigen, dass sich die Vulkan-Flanke 20 Kilometer seewärts von der Küste noch genauso stark bewegt wie an Land.»
Eine bekannte Annahme scheidet damit aus: «Der rumorende Vulkan selbst kann nicht die Ursache sein für die Hangrutschungen, weil die Bodenrisse in seiner Nähe nicht grösser sind als jene weit draussen am Meeresboden», so die Geowissenschaftlerin. Vielmehr sei es wohl die Schwerkraft, die das bröckelige Lavagestein weiträumig in die Tiefe zieht.
Tsunami im Mittelmeer möglich
Was die neue Studie auch zeigt: Die rutschende Vulkan-Flanke ist gefährlicher als bisher angenommen. Würde sie vollständig abgleiten, wären die Folgen katastrophal, schätzt Morelia Urlaub. Die dicht besiedelte Küste mit der Stadt Giarre im Rutschgebiet würde wohl zerstört. Die Gerölllawine könnte einen Tsunami auslösen, der das ganze östliche Mittelmeer betrifft.
Zwar passieren solche Flankenzusammenbrüche in so grossem Umfang wie beim Ätna extrem selten – vielleicht alle paar hunderttausend Jahre einmal. Doch können schon kleinere abgerutschte Vulkan-Flanken verheerende Tsunamis auslösen, mit tausenden Toten.
So geschehen zum Beispiel 1888 auf der Ritter-Insel von Papua-Neuguinea oder vor wenigen Jahrzehnten auf der Halbinsel Shimabara. «Im Süden Japans gab es 1972 einen relativ kleinen Flankenzusammenbruch. Dieser hat aber einen Tsunami ausgelöst, der 14'500 Menschenleben forderte», beschreibt Forscherin Morelia Urlaub jene im Westen völlig unbekannte Katastrophe.
Mehr als nur Panik
Doch was bringt die neue Studie, ausser dass sie die Bevölkerung am Ätna wohl aufschreckt? Solche Studien seien wichtig für die Gefahrenanalyse, sagt der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern. «Man kann nun erstmals die Gleitfläche in ihrem gesamten Volumen einigermassen abschätzen und damit Gefahrenszenarien erstellen.»
Solche Szenarien zeigen, wie hoch beispielsweise eine Tsunamiwelle wäre, wenn der ganze Hang abrutschen würde. «Man darf sich schon etwas aufschrecken lassen», findet Flavio Anselmetti, «wir müssen diese Naturphänomene kennen. Man soll sich aber auch bewusst sein, dass solche Ereignisse relativ selten sind, dass man sie beobachten kann und dass sie selten ohne Vorwarnung passieren.»
Alles hat man zwar nie unter Kontrolle. Aber mit einem Monitoring, wie es heute im Gefahrengebiet auf Siziliens Hausberg existiert, können Behörden und Wissenschaftler den abgleitenden Hang zumindest überwachen und die Bevölkerung warnen, sollten sich die Bewegungen dereinst beschleunigen. Für eine solche Entwicklung gibt es am Ätna aber zurzeit keine Anzeichen – immerhin.