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Bever, Engadin: Wie das Renaturieren von Flüssen gelingt
Aus Rendez-vous vom 21.08.2023. Bild: Gemeinde Bever
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Naturnahe Gewässer Der Inn sucht sich in Bever seinen eigenen Lauf

Die Schweizer Bäche, Flüsse und Seen sollen ökologischer werden. So sieht es das revidierte Gewässerschutzgesetz vor. Im Oberengadin ist das besonders gut gelungen.

Bever im Oberengadin, 1700 Meter über Meer. Etwa 500 Meter vom Dorfzentrum entfernt spannt sich eine kleine Brücke über den Inn. Von oben her fliesst der Fluss in einem engen, fast schnurgeraden Bett, links und rechts begrenzt von einem Damm. Dreht man sich um 180 Grad, verwandelt sich das eintönige Bild in eine glänzende, vielfältige Auenlandschaft. «Der Fluss hat hier stellenweise zehnmal mehr Platz als weiter oben», sagt Fadri Guidon, der Gemeindepräsident von Bever.

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Archiv: Rundblick über die Inn-Auen bei Bever
Aus Wissen vom 13.07.2023.
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Mit einer Länge von 517 Kilometern ist der Inn einer der längsten und mächtigsten Alpenflüsse. Allerdings ein gezähmter Fluss: Über weite Strecken ist er begradigt und eingedämmt. Auch in Bever wurde der Inn in den 1950er-Jahren in ein Korsett gezwängt – zum Schutz gegen Hochwasser.

In den Nullerjahren beschlossen die Einwohner, den Inn auf Gemeindegebiet zu revitalisieren. Die alten, engen Dämme wurden abgetragen und nach aussen versetzt. Nun kann der Fluss auf einer Strecke von gut zwei Kilometern sein Bett selbst und dynamisch gestalten.

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«Wir haben hier eine typische Auenlandschaft, mit Flächen, auf denen das Wasser ständig fliesst, bis zu Flächen, die vielleicht alle paar Jahrzehnte bei einem Hochwasser überflutet werden», erklärt Fadri Guidon. Dadurch seien viele verschiedene Lebensräume entstanden ­- «und das macht die Biodiversität einer Aue eben aus.»

Tatsächlich haben sich in den Inn-Auen zahlreiche gefährdete Tierarten niedergelassen. So leben hier seit mehreren Jahren mehrere Fischotter-Paare. Auf den Kiesbänken brüten die seltenen Flussuferläufer und Flussregenpfeifer. Sogar ein Biber ist hier heimisch geworden.

Das Revitalisierungs-Projekt hat eine lange Vorgeschichte in Bever – sei aber von Anfang gut angekommen, sagt Fadri Guidon. Dies, obwohl der zusätzlich gewonnene Raum des Inn auf Kosten der Landwirtschaft geht. Sie hätten es in Bever so gelöst, dass «die meisten Bauern, die Land abtreten mussten, an anderer Stelle einen Ersatz dafür erhalten haben», sagt Fadri Guidon. Bei den Verhandlungen habe wahrscheinlich auch geholfen, dass er selbst bis vor kurzem ebenfalls einen Landwirtschaftsbetrieb im Nebenerwerb führte. «Ich weiss also aus Erfahrung, wie wichtig einem Bauern sein Land ist, und kann gleichzeitig die Wertschöpfung verschiedener Flächen abschätzen.»

Einige Kleinbauern hätten ihr Land sogar einfach so abgetreten. Fadri Guidon ist einer von ihnen: Seine 100 Quadratmeter Land, die er für die Revitalisierung hergab, sind heute mitten im Fluss.

Gemäss Gewässerschutzgesetz sollen in der Schweiz 4000 Kilometer Fliessgewässer revitalisiert werden; 90 Prozent der Kosten tragen der Bund und die Kantone. Geschafft sind aber gemäss BAFU gerade mal 200 Kilometer. Fadri Guidon will deshalb in Bever ein Besucherzentrum aufbauen: «Wir wissen, worauf man bei der Planung achten muss, und welche Lösungsmöglichkeiten es geben könnte», sagt der Gemeindepräsident.

Mann an Fluss zeigt auf etwas
Legende: Fadri Guidon hat 100 Quadratmeter Land für die Revitalisierung hergegeben. Irène Dietschi

Auch mit dem Inn geht es weiter, denn die Nachbargemeinden Samedan und La Punt sind auf den Revitalisierungszug aufgesprungen. «Wenn La Punt abgeschlossen ist, fliesst der Inn revitalisiert auf 17 Kilometern durch die ganze Talebene des Oberengadins», bilanziert Guidon. So könnte sich der Inn zusehends zu dem Fluss wandeln, der er einst war.

Rendez-vous, 21.08.2023, 12:30 Uhr

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