Plötzlich schwebt beim Wandern in den Alpen ein riesiger Vogel dem Hang entlang: Weisser Körper, schwarze Flügel, ein keckes Bärtchen – ein Bartgeier. Heute ist es keine Seltenheit mehr, diesem riesigen Vogel zu begegnen, er ist fast ein Drittel grösser als der Steinadler.
Genau 40 Jahre ist es her seit dem Entschluss, diese Tierart wieder anzusiedeln. Das war keine einfache Sache und ein riesiger Aufwand für 40 Zuchtstationen in ganz Europa.
Aber unterdessen fliegen wieder 250 Bartgeier durch die Alpen. Und 30 Junge sind im letzten Jahr in Freiheit, ohne menschliches Zutun zur Welt gekommen. Das ist ein grosser Erfolg.
Unterdessen kommen auch jeden Sommer grössere Gruppen von Gänsegeiern in die Schweiz. Sogar die seltenen Mönchsgeier wurden bereits mehrfach gesichtet. Die Schweiz wird zum Geierland.
Plötzlich verschwindet der Schmutzgeier
Schaut man aber über die Alpen hinaus, sieht es weniger rosig aus. Der kleinere Schmutzgeier zum Beispiel, der früher im Mittelmeerraum bis zum Genfersee gebrütet hat, wird immer seltener.
Die Fachleute wissen nicht, warum. Ist es, weil diese Vogelart nach Afrika zieht und dort gejagt wird? Oder weil zwei Drittel aller jungen Schmutzgeier beim Zug in den Süden im Meer ertrinken, wie eine Besenderung der Vögel zeigte? Es bleibt unklar.
Todesursache: Vergifteter Löwe
In Afrika geht es den Geiern noch schlechter. In bestimmten Staaten Westafrikas werden sie gejagt und für magische Zwecke gebraucht. Viel häufiger noch werden sie Opfer eines Konflikts, in dem sie nur indirekt beteiligt sind: Viehbesitzer töten in Afrika Löwen, indem sie ihnen vergiftete Kühe oder Antilopen zum Frass hinlegen.
Die Geier fressen mit oder fressen die verendeten Löwen und sterben zu hunderten. So nahm die Zahl der Geier in Afrika in den letzten 30 Jahren um 70 Prozent ab, schätzen Vogelkundler.
Medikament wird zum Geierkiller
Noch schlimmer steht es um die Geier auf dem indischen Subkontinent. 1990 wurde dort ein Medikament in der Tiermedizin eingeführt, das zu einem bisher beispiellosen Geiersterben geführt hat.
Der Wirkstoff Diclophenac, der auch in zahlreichen bekannten Präparaten wie Voltaren enthalten ist, führt bei Geiern zu Nierenversagen. 40 Stunden nachdem sie an einem Rinderkadaver gefressen haben, der Diclophenac enthält, fallen sie buchstäblich tot um.
95 bis 99 Prozent aller Geier sind in Indien so verschwunden. 2005 wurde Diclophenac für die Tiermedizin in Indien verboten. Doch die Geierbestände erholen sich nur zögerlich.
Fragiles Gleichgewicht
2014 wurde Diclophenac auch in Europa in fünf Staaten in der Tiermedizin zugelassen. Mit verschiedenen Auflagen allerdings, bisher gab es kein Geiersterben.
Weil Geier eine sehr scharfe Magensäure haben – der Bartgeier verdaut damit sogar grosse Knochen –, können sie auch andere Stoffe wie etwa Schwermetalle gut verdauen und aufnehmen.
Bleimunition tötet Geier
Geier sind damit besonders sensibel gegenüber bestimmten Umweltgiften. So sterben auch in der Schweiz immer wieder Bartgeier, weil sie die Reste von Wildtieren fressen, die mit bleihaltiger Munition geschossen wurden.
Der Bartgeier ist deshalb nicht ernsthaft in Gefahr. Aber wie sich zeigt, ist es viel einfacher, diese riesigen Aasfresser zum Verschwinden zu bringen, als sie wieder anzusiedeln.