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Phlegräische Felder bei Neapel Europas gefährlichster Vulkan – droht ein grosser Ausbruch?

In den Phlegräischen Feldern in Pozzuoli bei Neapel bebt es immer öfter und heftiger. Auch der Boden hebt sich mehr und mehr an. Sind das womöglich Vorboten eines verheerenden Vulkanausbruchs?

Und wieder hat es am 13. Mai in Pozzuoli bei Neapel gebebt. Ein Schwarm von kleineren Beben mündete gegen Mittag in zwei stärkeren Beben, von 3.5 und 4.4. Zu Gebäudeschäden kommt es dabei noch nicht, aber es war für die Menschen deutlich spürbar. Viele verliessen ihr Häuser und blieben eine Weile draussen.

Das Epizentrum lag im Hafenbereich der Stadt Pozzuoli. Also dort, wo sich seit mehreren Jahren der Boden am stärksten erhebt. Dort befindet sich auch das Zentrum einer gewaltigen Magma-Kammer, die sich unter der Bucht von Pozzuoli befindet. Bereits seit 20 Jahren hebt sich das ganze Gebiet langsam aus dem Meer, zuletzt immer rascher, mit bis zu drei Zentimetern pro Monat.

Die Magmakammer unter Pozzuoli regt sich

Die Aktivitätssteigerung zeigt sich auch bei der Anzahl der registrierten Erdstösse. 2024 wurden insgesamt 4900 Beben gemessen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es bereits 3450.

Aktives Vulkansystem

Im oberen Teil von Pozzuoli liegt die Solfatara, ein Krater, aus dessen Boden übelriechende Dämpfe und Gase austreten. Auch dort steigen die Messwerte für den Austritt von Kohlendioxid und Schwefel seit Jahren kontinuierlich an. 

«Wir befinden uns hier mitten in einem aktiven Vulkansystem, der Caldera der Campi Flegrei, einem der gefährlichsten Vulkane der Welt», sagt der Vulkanologe Giuseppe Mastrolorenzo vom INGV, dem staatlichen Institut für Geologie und Vulkanologie Italiens. Er warnt seit Jahren vor den Folgen eines möglichen Vulkanausbruchs im dicht bewohnten Gebiet.

Die Caldera der Phlegräischen Felder: Das sind die Überreste zweier gewaltiger Vulkanausbrüche vor 39'000 und 15'000 Jahren. Sie verwüsteten weite Teile Süditaliens und hatten globale Auswirkungen. Der gewaltige Asche- und Gas-Ausstoss sorgte für eine globale Kälteperiode, mit Auswirkungen auf die Vegetation, Tierwelt und die damals lebenden Menschen.

Beide Male stürzt der Vulkan nach dem Ausbruch in sich zusammen und bildet die sogenannte Caldera. Sie erstreckt sich über die ganze Bucht von Pozzuoli, ein grosser Teil davon unter Wasser.

Verheerende Eruptionen in der Vergangenheit

Mit 150 bis 200 Quadratkilometern ist die Caldera etwa so gross wie der Kanton Appelzell-Innerrhoden (172 km²). Darunter liegt die nach wie vor aktive riesige Magma-Kammer, die sich jetzt bemerkbar macht. Über dieser Kammer – beziehungsweise mitten in diesem gewaltigen Vulkan – leben rund 350'000 Menschen. Im umliegenden Grossraum Neapel sind es gesamthaft rund vier Millionen.

Potenziell eine Gefahr für ganz Europa

Kündigt sich da gerade wieder eine zerstörerische Eruption an? «Wir wissen es nicht», sagt Vulkanologe Mastrolorenzo. Da die grossen Eruptionen weit zurückliegen, fehlten wissenschaftliche Erfahrungswerte als Referenz. «Wir wissen also nicht, wo die Schwelle liegt zwischen einer normalen Situation eines ruhenden Vulkans und einer Katastrophe.»

Ein grosser Ausbruch wie vor 15'000 oder 39'000 Jahren wäre auf jeden Fall eine Katastrophe, nicht nur für Neapel oder Italien, sondern für ganz Europa und darüber hinaus. Die Folgen: die Zerstörung weiter Gebiete, saurer Regen, kontaminiertes Wasser, massive Ernteausfälle und eine globale Abkühlung.

Magma-Kammer füllt sich

Klar ist: Die Phänomene wie Erdbeben, Bodenerhebung und Gasaustritt werden von Magma im Untergrund verursacht. «Das System ist aktiv», sagt auch Olivier Bachmann, Professor für Vulkanologie und Petrologie (Gesteinskunde) an der ETH Zürich.

Die Resultate seiner und anderer Forschungsgruppen zeigen, dass sich die Kammer unter den Phlegräischen Feldern wieder füllt. Die Kammer sei derzeit aber nicht besonders gross, beruhigt Bachmann. «Sie kann in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten keine Super-Eruption auslösen.»

Allerdings sei der Blick in die Tiefe schwierig, die Auflösung nur schlecht, räumt Bachmann ein. «Wir sehen Magma in der Erdkruste. Aber wie können wir nicht wirklich bestimmen.»

Gerne wüssten er und andere Forscher, welche Teile des Magmadepots eruptionsfähig sind. Das heisst: so flüssig, dass das Magma an die Oberfläche gelangen und eruptieren kann.

Kritik an Notfallplänen

Denn kleinere Eruptionen haben sich in der Vergangenheit immer wieder ereignet. Im Gebiet der Campi Felgrei gibt es Spuren von rund 70 solcher kleinen Ausbrüche. Der letzte ereignete sich 1538 und bildete den «Monte Nuovo». Die Bewohner Pozzuolis und der umliegenden Dörfer konnten damals rechtzeitig flüchten.

Heute wäre die Evakuation schwieriger, da das ganze Gebiet viel dichter bewohnt ist und die Verkehrswege rasch verstopft wären. Giuseppe Mastrolorenzo hat Szenarien solcher Ausbrüche berechnet und hält die aktuellen Evakuationspläne für ungenügend.

Bei früheren Ausbrüchen sei das Magma sehr schnell aufgestiegen. «Die Katastrophe kann also sehr plötzlich und sogar ohne Vorwarnung eintreten», warnt Mastrolorenzo.

Was spielt sich im Untergrund ab?

Andere Fachleute wie Olivier Bachmann erwarten hingegen, dass man Anzeichen für aufsteigende Magma frühzeitig messen könnte. Das denkt auch Aldo Zollo, Professor für Geophysik an der Universität Neapel.

Sein Institut liegt nur wenige Kilometer von den Phlegräischen Feldern entfernt. Verschiedene Sensoren und Seismografen messen jede Veränderung und Beben weit unterhalb der Wahrnehmungsschwellen. Das Gebiet gehöre zu den am besten überwachten weltweit, so Zollo. Wenn sich Magma aus der Tiefe an die Oberfläche bewegen würde, sei davon auszugehen, dass diese Signale erfasst werden können, betont der Erdbebenspezialist.

Weitere Erdbeben erwartet

«Es gibt derzeit keine Anzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch, der eine Evakuierung der Menschen erforderlich machen würde», sagt Aldo Zollo. Klar sei, dass alle Phänomene in diesem Gebiet letztendlich mit der Magma-Kammer im Untergrund zusammenhingen.

Die Ursachen für die jetzigen Erdbeben und die Anhebung des Bodes sei aber ein Gasreservoir im Untergrund, sagt Aldo Zollo und verweist auf Studien, die seine Forschungsgruppe mit der US-Universität Stanford kürzlich durchgeführt hat.

Es sei deshalb richtig, so Zollo, die Gebäude im betroffenen Gebiet nun zu untersuchen und in einen erdbebensicheren Zustand zu bringen, so wie das die Behörden derzeit tun. «Wenn wir wollen, dass die Menschen weiterhin dort leben, müssen sie sicher sein, dass die Häuser, in denen sie leben, auch sicher sind», sagt Geophysiker Zollo.

Keine Entwarnung in Sicht

Eine andere Frage ist, wie sicher sich die Menschen nach den immer stärkeren Erdbeben noch fühlen. Viele sind nach den heftigen Erdstössen seit 2024 stark verunsichert. Denn: Entwarnung können die Fachleute nicht geben, im Gegenteil.

Die Wissenschaftler erwarten, dass sich der Druck im Untergrund weiter aufbaut und für weitere Erdbeben sorgen wird. Auch wenn es unmittelbar keine Anzeichen dafür gibt: Selbst Vulkanausbrüche werden sich im Gebiet wieder ereignen, da sind sich Expertinnen und Experten einig. Offen ist nur, ob es erst künftige Generationen treffen wird.

Wann ist ein Vulkan ein «Supervulkan»?

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Die Phlegräischen Felder werden immer wieder als «Supervulkan» bezeichnet. Streng genommen sind sie es trotz zwei enormer Ausbrüche nicht. Vulkaneruptionen werden in der Erdwissenschaft in verschiedene Stärkeklassen eingeteilt, den Vulkan Explosivitätsindex VEI (siehe Definition der US-Geologiebehörde USGS). Der VEI basiert hauptsächlich auf dem ausgeworfenen Materialvolumen (Tephra) und der Höhe der Eruptionssäule. Die Skala reicht von 0 (nicht explosiv) bis 8 (super-kolossal). Nur VEI-8-Eruptionen gelten danach als «Super-Eruption».

Die stärksten Ausbrüche der Phlegräischen Felder erreichten VEI 7. Da insbesondere der erste Ausbruch vor 39'000 Jahren auch globale Auswirkungen hatte, hält es Olivier Bachmann, Vulkanologe an der ETH Zürich, für vertretbar, auch diese als Supereruption zu bezeichnen.

Wichtig: die VEI-Einteilung bezieht sich auf das jeweilige Ereignis, nicht auf den Vulkan. Ein Beispiel: Die bekannte Eruption des Vesuvs, der im Osten von Neapel im Jahr 79 die römische Stadt Pompeji auslöschte, lag bei VEI 5. Seither brach der Vesuv viele Male erneut aus, doch immer weniger stark. Der letzte Ausbruch 1944 war eine VEI-3-Eruption. Dennoch wurden dabei mehrere Dörfer ganz oder teilweise zerstört und 26 Menschen starben.

Tageschronik, 03.06.2025, 09:15 Uhr;schn

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