Auch mal zum Frühstück: Schimpansen verspeisen Schildkröten. Um an ihr Fleisch zu gelangen, schlagen sie die Schildkröten an Baumstämmen auf. Das haben – zum ersten Mal überhaupt – Wissenschaftler im zentralafrikanischen Gabun beobachtet. Und weshalb ist dieses Verhalten so bemerkenswert? Weil es etwas über die Intelligenz unserer nächsten Verwandten verrät, sagt Studien-Co-Autor Tobias Deschner.
SRF: Sie halten diese Schildkröten-Knacktechnik der Schimpansen möglicherweise für eine Kulturtechnik. Weshalb?
Tobias Deschner: Die eine Sache ist: Diese Schildkröten lassen sich weit über Afrika hinweg finden. In anderen Schimpansen-Populationen, die schon lange beobachtet werden, sieht man das Aufknacken von Schildkröten allerdings nicht. Das scheint also kein angeborenes Verhalten zu sein.
Die Schimpansen tun das auf eine sehr konforme Weise.
Die andere Sache ist: Wenn das Aufknacken nur durch ein Ausprobieren einzelner Tiere entstehen würde, würden wir unterschiedliche Techniken erwarten. Die sehen wir aber nicht. Die Schimpansen tun das auf eine sehr konforme Weise.
Das deutet darauf hin, dass sie sich das Aufknacken durch soziales Lernen voneinander abschauen. Genau das ist ein kulturelles Verhalten.
Man kennt das von anderen Tieren. Krähen etwa lassen Nüsse auf die Strasse knallen, um sie zu öffnen. Was ist hier der Unterschied?
Ich würde nicht von einem Unterschied sprechen. Interessant ist, dass es eine Gemeinsamkeit gibt. Krähenvögel und Schimpansen oder Menschenaffen haben komplexe Sozialstrukturen, die eine hohe Intelligenz erfordern.
Diese Tiere leben aber auch in ganz unterschiedlichen Landschaften. Sie müssen sich also auf ganz verschiedene Situationen einstellen. Das fördert eine allgemeine Intelligenz. Genau in solchen Situationen sehen wir über Artgrenzen hinweg die Entwicklung solcher Techniken.
Ich schliesse daraus, dass Schimpansen in der Lage sind, in die Zukunft zu planen.
Eine weitere Beobachtung, die Sie schildern: Ein Schimpanse knackt eine Schildkröte und bunkert sie in einer Astgabel, um tags darauf weiter zu fressen. Was schliessen Sie aus diesem Verhalten?
Ich schliesse daraus, dass Schimpansen in der Lage sind, in die Zukunft zu planen. Das ist eine kognitive Eigenschaft, die oft nur Menschen zugeschrieben wird.
Unsere Beobachtung deutet darauf hin, dass auch andere Tierarten dazu in der Lage sein können.
Auch ein Eichhörnchen legt doch Vorräte an?
Untersuchungen zeigen, dass das beim Eichhörnchen eine angeborene Verhaltensstruktur ist. Wenn das Eichhörnchen eine Nuss findet, vergräbt es die, ohne sich zu überlegen, ob das in der Situation Sinn macht oder nicht.
Solche Beobachtungen erzählen auch etwas über unsere eigene Evolution.
Der Schimpanse ist der nächste Verwandte des Menschen. Was können Sie aus Ihren Studien auf den Menschen schliessen?
Es gibt erstens grosse Überlappungen. Und zweitens erzählen uns solche Beobachtungen in einem gewissen Masse auch etwas über unsere eigene Evolution.
Eine Kollegin in Grossbritannien untersucht gerade, was wir über den Werkzeuggebrauch der frühen Menschen sagen können, die Tierüberreste oder Knochen bearbeitet haben.
Die Kollegin will sich jetzt mal unsere Schildkrötenpanzer anschauen, um die Bruchmuster zu sehen. Und dann vergleichen, ob die frühen Menschen genau die gleichen Techniken benutzt haben. Man weiss, dass die auch Schildkröten aufgebrochen haben.
Das Gespräch führte Remo Vitelli.