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Schlaue Schädlinge Der verhängnisvolle Hilferuf der Maispflanze

Viele Pflanzen locken nützliche Insekten mit Duftstoffen an. Eine neue Studie zeigt: Schädlinge belauschen diesen Hilferuf – und schrecken die Helfer ab.

Pflanzen können nicht wie Tiere vor ihren Feinden weglaufen. Doch auch sie wehren sich – indem sie Nützlinge anlocken, die dann die Schädlinge auf den Pflanzenblättern töten.

Dieses Phänomen ist bekannt. Doch jetzt haben Forscher aus Bern erstmals beobachtet, dass Schädlinge diesen Hilferuf der Pflanzen an die Parasiten auch ausnutzen können.

Ein Lockstoff, der abschreckend wird

Matthias Erb und seine Kollegen hatten Maispflanzen im Labor mit Indol behandelt, einem blumig-riechenden Duftstoff, den viele Gewächse aussenden, um zum Beispiel Schlupfwespen anzulocken. Diese besiedeln als Parasiten gefrässige Schmetterlingsraupen – und töten sie.

Zunächst wirkte das Indol auch bei den Maispflanzen wie erwartet: Die Nützlinge wurden angelockt und flogen zu den Maispflanzen. Doch als die Forscher Schädlinge – also Schmetterlingsraupen – auf die Blätter setzten, stellten sie verblüfft fest: Die nützlichen Parasiten, die die Raupen töten, wurden abgeschreckt.

«Plötzlich hatten wir einen Duftstoff, der dem Schädling hilft, sich vor den Nützlingen zu schützen», so Studienleiter Matthias Erb von der Universität Bern.

Belauschter Hilferuf

Warum der Duftstoff diesen paradoxen Effekt hat, wissen die Forscher bisher nicht genau. Doch sie vermuten, dass die Schmetterlingsraupen das Indol der Maispflanzen als Warnsignal nutzen. Eine Art belauschter Hilferuf, den die Schädlinge zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.

Denn nur, wenn tatsächlich Raupen auf den Blättern sitzen, werden die nützlichen Parasiten abgeschreckt. Es spricht daher vieles dafür, dass die Raupen den Geruch der Maispflanzen aktiv verändern und die Nützlinge dadurch vertreiben.

Schlaue Insekten

Wie die Schmetterlingsraupen es schaffen, das Bouquet der Pflanze so zu manipulieren, dass Nützlinge in die Flucht geschlagen werden, wissen Matthias Erb und seine Kollegen bislang nicht.

Die Forscher halten es aber für möglich, dass die Raupen das Indol aus den Maispflanzen benutzen, um ihren eigenen Geruch oder Geschmack zu verändern und dadurch abstossend auf Nützlinge wirken.

Winziges Gehirn, Riesenleistung

Dafür spricht die Beobachtung der Forscher, dass Schmetterlingsraupen stark nach Indol riechende Maispflanzen normalerweise meiden. Denn das Indol wirkt leicht giftig auf die Raupen.

Doch sobald Schlupfwespen in der Nähe sind, bevorzugen die Raupen Indol-haltige Pflanzen. Vielleicht, weil sie wissen, dass sie das Indol vor dem Tod durch die Nützlinge bewahren kann.

Kleine grüne Larven brechen aus einer toten grünen Raupe aus
Legende: Nützlinge töten den Schädling: Schlupfwespen-Larven brechen aus einer toten Kohlweisslingsraupe aus. imago / blickwinkel

Für so kleine Insekten mit einem winzigen Gehirn ist das eine beachtliche Leistung. «Es ist faszinierend, dass diese für uns relativ simpel scheinenden Larven ihr Verhalten ändern können, sobald sie merken, dass Nützlinge vorhanden sind», so Matthias Erb.

Bad News für die Landwirtschaft

Für die Landwirtschaft sind die neuen Ergebnisse jedoch schlechte Nachrichten. Schon seit ein paar Jahren arbeiten Forscher daran, Pflanzenduftstoffe als Lockstoff für Nützlinge auf den Feldern einzusetzen.

Eigentlich ist das eine schöne Idee, weil Bauern dann weniger Schädlingsbekämpfungsmittel verwenden müssten. Doch die Beobachtungen der Berner Forscher zeigen, dass die vermeintliche Hilfe für Pflanzen auch das Gegenteil bewirken kann.

«Wenn wir Duftstoffe in der biologischen Schädlingsbekämpfung einsetzen wollen, um Nützlinge zu stärken, müssen wir ihre Wirkung also zuerst genau verstehen», meint Matthias Erb. «Aber es gibt bestimmt auch Duftstoffe, die besser funktionieren als das Indol.»

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