Mittags steht die Sonne steil, abends lässt sie sich Zeit für den Abgang: Astrophysikerin Kathrin Altwegg erklärt, wie die Sommersonnenwende mit der «blauen Stunde» zusammenhängt, und warum sie schon auf den Winter hinweist.
SRF: An der Sommersonnenwende wendet die Sonne – wohin genau?
Kathrin Altwegg: Von uns aus gesehen wandert die Sonne im Verlauf des Jahres von Süden nach Norden – und wieder zurück. Der 21. Juni markiert den Wendepunkt. Wirklich senkrecht steht die Sonne jetzt über der Sahara oder über Hawaii. Dort gibt es mittags keinen Schattenwurf. Der exakte Moment des sogenannten Wendepunkts war übrigens heute Montag am frühen Morgen, um 5 Uhr 32.
Seit wann weiss die Wissenschaft das so genau?
Dass die Sonne im Jahresverlauf scheinbar wandert, beobachten die Menschen seit Jahrtausenden. Sonnenuhren gibt es seit der Antike, dadurch wussten die Menschen ungefähr, wann die Sonne wo steht. Im 18. Jahrhundert entwickelten Menschen mechanische Uhren, und dann fing es an mit der Präzision.
Zur Sommersonnenwende ist die Nordhalbkugel maximal zur Sonne geneigt. Was sind die wahrnehmbaren Besonderheiten?
Die kurzen Schatten, die langen Tage und vor allem: die sehr lange Dämmerung. Am Abend bleibt die Sonne lange in einem flachen Winkel von weniger als 18 Grad. Dadurch müssen die Sonnenstrahlen einen besonders langen Weg durch die Ozonschicht zurücklegen – und die bremst die roten Lichtanteile.
Es bleibt das charakteristische blaue Licht. Man spricht ja auch von der «blauen Stunde». Je weiter nördlich man geht, umso heftiger wird es mit der langen Dämmerung – ganz weit im Norden dauert sie bis zum Morgen.
Heute, an der Sonnensommerwende, ist der längste Tag, aber der früheste Sonnenaufgang war schon vor ein paar Tagen. Wie passt das zusammen?
Die Erde läuft ja nicht auf einer Kreisbahn um die Sonne, sondern auf einer Ellipse. Die Sonne steht nicht exakt im Brennpunkt dieses Ovals, und die Erde bewegt sich auf der Bahn auch nicht immer genau gleich schnell.
Ausserdem dreht sich die Erde auch noch um ihre eigene Achse – und die steht schief. Alles zusammen führt zu dieser Verschiebung.
Ebenfalls paradox: Der Hochsommer und die heissen Hundstage kommen nach dem Sonnenhöchststand. Was ist da die Erklärung?
Das hat mit der Wärmekapazität der Erde zu tun, vor allem der Ozeane. Die brauchen viel länger, um aufzuheizen als die Landmassen. Erst wenn die Meere aufgewärmt sind, und die Sonne immer noch hochsteht, wird’s richtig heiss.
Die Ozeane speichern die Wärme auch länger als die Landmassen – und temperieren sozusagen die frühen Wintermonate. Der 21. Juni markiert astronomisch den Sommeranfang, weist aber bereits auf den Winter hin. Die Tage werden ab dann auch wieder kürzer.