Am Anfang stand ein Mangel. Der Biologe Martin Wikelski war mit den herkömmlichen Peilsendern unzufrieden. Forscher mussten sich mühsam mithilfe einer Antenne an die Fersen der Tiere heften, um deren Standort zu kennen.
Nicht nur das, sagt Martin Wikelski, Professor am Max-Planck-Institut für Ornithologie im deutschen Radolfzell: «Sobald die Tiere nicht beobachtet werden wollen, entfernen sie sich.» Paviane würden nachts statt tagsüber losziehen, um «spannende Sachen zu machen».
Lernen durch Kommunikation
Dadurch verpassen die Forscher, wie sich die Tiere untereinander verhalten. Es gibt Hinweise, dass solche Interaktionen wichtig sind. Junge Zugvögel finden auch darum im Herbst den Weg nach Afrika, weil sie sich mit anderen Vögeln austauschen, sagt Martin Wikelski: «In der Luft ist es, wie auf der Autobahn nach den Ferien: Alles ist voll mit Vögeln, die untereinander kommunizieren.»
Um solche Phänomene studieren zu können, baut Martin Wikelski mit anderen Forschern ein Überwachungssystem für Tiere auf: Icarus .
Kleiner Sensor, der viel kann
Ohne die rasante Miniaturisierung wäre das nicht möglich gewesen. Ein Sensor der neusten Generation ist etwa so gross wie das erste Glied des kleinen Fingers.
Das Gerät enthält ein Solarpanel und Batterie, einen grossen Speicher und eine Vielzahl von Sensoren. Es misst Flughöhe, Beschleunigung, Lufttemperatur und vieles mehr. Ein Handychip sendet die Daten automatisch über das Mobilfunknetz zu den Forschern.
Sender verrät Menü
Grössere Vögel wie Störche, Geier oder Kraniche fliegen schon seit einigen Jahren Sender spazieren. Sie haben den Forschern vieles verraten: Himalaya-Geier bleiben nicht wie gedacht in der Nähe des Gebirges, sondern fliegen bis weit nach Indien und in die Mongolei.
Die Icarus-Sensoren gaben Aufschluss über die Ernährung der Geier, so Martin Wikelski: «Zwanzig Prozent ihrer Nahrung kommen von menschlichen Leichnamen. Die werden bei rituellen Himmelsbestattungen im Freien ausgelegt.»
Hohe Telefonrechnung
Die Übertragung der Daten per Mobilfunk ins Labor ist zwar praktisch, aber teuer. «Leider telefonieren die Tiere unheimlich viel. Wir haben jeden Monat mehrere Tausend Euro Telefonkosten», sagt Martin Wikelski und schmunzelt.
Künftig soll ein Teil der Daten via All zu den Forschern geschickt werden. Im Mai geht dafür auf der internationalen Raumstation eine Antenne in Betrieb. Später sollen auch Satelliten eingesetzt werden.
Ziegen, die Katastrophen spüren
Das Icarus-System liefert nicht nur Daten für die Verhaltensforschung. Martin Wikelski öffnet auf seinem Computer einen Datensatz, den Ziegen geliefert haben. Auf dem Bildschirm erscheint eine 3D-Grafik des sizilianischen Vulkans Ätna. Ein dichtes Geflecht von Linien zeigt an, wo die Ziegen auf den Bergflanken herumgeklettert sind.
Wikelskis Team hat diese Wegmuster mit Ausbrüchen des Ätna abgeglichen. Ihre Erkenntnis: Die Ziegen haben sich stets ungewöhnlich verhalten, wenn ein Ausbruch bevorstand. Nachts wurden sie unruhig und tagsüber suchten sie Gebiete auf, durch die seit längerem keine Lava mehr geflossen war. «Es könnte also sein, dass man Ziegen als Frühwarnsystem für Naturereignisse nutzen kann.»
Was die Tiere vor einem Ausbruch spüren, ist unklar. Möglicherweise feine Vibrationen oder Gase, die aus Spalten strömen. Ein zweiter Versuch in den Abruzzen hat ähnliche Ergebnisse geliefert. Das Beben vor einem Jahr haben die Ziegen im Voraus gespürt.
Vogelgrippe stoppen dank Sensor
Martin Wikelski möchte Icarus auch einsetzen, um frühzeitig neue Epidemien zu entdecken. Bei der Vogelgrippe könnten Sensoren anzeigen, wenn Streifengänse Fieber bekommen. Wissenschaftler könnten vor Ort das Virus aus den Vögeln isolieren und untersuchen, ob es für Menschen gefährlich ist.
Obwohl die Icarus-Sender klein sind, können sie die Tiere stören. Das ist Martin Wikelski bewusst: «Wir belasten einige Individuen, aber dadurch können wir für den Schutz dieser Tiere sehr viel tun.»
Die Forscher haben dank den Sendern entdeckt, dass viele Störche auf ihrem Zug über Syrien oder im Winterquartier in der afrikanischen Sahelzone getötet werden. Sie werden von hungrigen Menschen gejagt.
Der Schutz der Tiere sei ein wichtiger Grund, das Icarus-System aufzubauen, sagt Martin Wikelski. «Charismatische Tiere wie Elefanten oder Nashörner werden von Wilderern in Massen getötet.» Techniker des Icarus-Verbunds entwickeln spezielle Sender, die Schüsse erkennen und sofort melden. Wildhüter können so rasch eingreifen. Für solche Dienste scheint sich das Opfer zu lohnen, das Icarus von einigen Tieren verlangt.