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Vorsicht, Qualle! «Glibbertiere» auf dem Vormarsch? Das steckt dahinter

Plötzlich sind sie da: glibberig, schimmernd und oft in Massen. Denn die Nesseltiere kommen mit Bedingungen klar, an denen andere Meeresbewohner scheitern. Was bedeutet das für uns Badegäste?

Die Sonne brennt, das Meer schimmert türkis. Plötzlich wird es ernst: «Unser Tauchlehrer macht uns darauf aufmerksam, dass eine Portugiesische Galeere in der Nähe ist», erzählt Heidi Böttcher von ihrem Urlaub in Lanzarote. Sie ist Oberärztin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und Taucherärztin. «Wir sind sofort an Land geschwommen. Am nächsten Tag wurde der ganze Strand gesperrt.»

Die auffällige Qualle mit meterlangen Tentakeln zählt zu den giftigsten Arten Europas. Müssen Badegäste nun häufiger mit diesen gefährlich schönen Tieren rechnen?

Portugiesische Galeere auf Sandstrand.
Legende: Portugiesische Galeere Die Portugiesische Galeere ist streng genommen keine einzelne Qualle, sondern eine Kolonie von Polypen. Ihre meterlangen Tentakel können brennende bis stechende Schmerzen auslösen, oft begleitet von Quaddeln und Schwellungen. IMAGO/blickwinkel

Ursprünglich kommt die Portugiesische Galeere vor allem im Atlantik vor. In den vergangenen Jahren wurden jedoch vermehrt Ansammlungen auch im Mittelmeer gemeldet - etwa vor Spanien und Italien. Ob es sich dabei jedoch um eine dauerhafte Zunahme handelt, ist wissenschaftlich bisher nicht geklärt.

Das Leben in zwei Stadien

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Quallen kennen meist zwei Lebensformen: Zunächst entwickeln sie sich als winzige Polypen, die sich am Meeresboden oder an anderen festen Strukturen festsetzen. In dieser Phase vermehren sie sich ungeschlechtlich. Daraus entwickeln sich dann die Medusen, also die freischwimmenden Quallen, die wir vom Strand oder aus dem Meer kennen.

Bei den meisten Arten ist der Polyp nur ein kurzes Zwischenstadium. Anders bei der Portugiesischen Galeere: Sie besteht aus einer Kolonie spezialisierter Polypen, die dauerhaft zusammenleben und sich Aufgaben wie Fortbewegung, Verdauung oder Verteidigung teilen.

Bei Böttcher zu Hause an der Ostsee ist die Lage entspannter, dort gebe es im Sommer viele, aber meist «nette» Quallen. Etwa die harmlose Ohrenqualle verbreite sich rasch.

Wenn sich Quallen lokal stark vermehren, spricht man von einer «Quallenblüte». Die Annahme, dass solche Blüten weltweit zunehmen, wird von Fachleuten aber differenziert betrachtet. «Sehr oft fehlen uns schlicht die Daten, um solche Aussagen zu treffen», sagt die Meeresbiologin Ina Stoltenberg vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Denn im Gegensatz zu vielen Fischen werden Quallen kaum systematisch und über längere Zeiträume erfasst.

Wachsen die Quallenpopulationen wirklich?

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Wie viele Quallen es wirklich gibt, lässt sich nur schwer beziffern. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2018 kommt zum Schluss: Viele Berichte über zunehmende Quallenpopulationen könnten auch auf natürliche Schwankungen zurückgehen. Oder auf eine höhere Aufmerksamkeit: Zum Beispiel, wenn Quallen Touristinnen und Touristen stören oder Fischernetze verstopfen.

Klarer ist der Einfluss des Klimawandels. Modellierungen zeigen, dass sich das Verbreitungsgebiet einiger Arten verschiebt – zunehmend in kältere Meeresregionen wie die Nordsee oder sogar die Arktis. In anderen Regionen bleiben die Bestände stabil oder gehen sogar zurück.

Fest steht: Quallen kommen mit Bedingungen klar, die anderen Meerestieren zu schaffen machen. Sie gelten daher als Profiteure des Klimawandels. Die Nesseltiere benötigen nur wenig Sauerstoff – weit weniger als etwa Fische oder Muscheln. Ihrer weichen Körperstruktur macht die Ozeanversauerung kaum etwas aus. Und beim Fressen sind sie anpassungsfähig. Sie vertilgen Kleinkrebse, Fischlarven und teils sogar Artgenossen.

Doch nicht nur das Klima fördert ihre Ausbreitung. Auch andere Eingriffe des Menschen ins Ökosystem spielen eine Rolle. Durch Überfischung verschwinden Fressfeinde, wie zum Beispiel Thunfische.

Kleiner Körper, grosse Wirkung

Wo sich Quallen häufen, steigt auch das Risiko von Verbrennungen. Und manche sind besonders gefährdet: «Kinder, besonders Säuglinge und Kleinkinder haben eine im Verhältnis zur Körpergrösse grössere betroffene Fläche. So kommt es zu einer vermehrten Giftaufnahme», erklärt die Notfallärztin Heidi Böttcher. Auch Menschen mit Vorerkrankungen wie Asthma, Herz-Kreislauf- oder Hautkrankheiten sollten aufpassen. Und: «Wer generell stark auf Allergene anspricht, kann auch bei Quallenstichen heftiger reagieren.»

Warum tut das so weh?

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Quallen gehören zu den Nesseltieren. Ihre Tentakel sind mit tausenden winzigen Nesselzellen bestückt. Kommt man ihnen zu nahe, feuern die Nesseln wie eine Harpune mikroskopisch kleine Giftpfeile in die Haut. Das kann brennen, jucken, schmerzen – oder bei empfindlichen Personen zu heftigen allergischen Reaktionen führen. In schweren Fällen sind Schwellungen, Kreislaufprobleme, Atemnot oder gar ein anaphylaktischer Schock möglich. Je grösser die betroffene Hautfläche, desto gefährlicher wird es.

Besonders eindrücklich zeigt sich das bei der Seewespe (Chironex Fleckeri): Ihr Stich kann tödlich enden, wenn grosse Hautareale betroffen sind. Und ein wirksames Gegengift gibt es bislang nicht.

Auch die Irukandji-Quallen, zu denen mehrere Arten zählen, können gefährlich werden. Die nur wenige Zentimeter grossen Würfelquallen können das sogenannte Irukandji-Syndrom auslösen – mit heftigen Muskelkrämpfen, Kopfschmerzen, Übelkeit und im Extremfall Kreislaufversagen. Die Symptome sind so stark, dass Betroffene oft intensivmedizinisch betreut werden müssen. Entdeckt wurde die Ursache einst durch einen waghalsigen Selbstversuch des australischen Arztes Jack Barnes.

Trotz aller Vorsicht kann es passieren: Ein Tentakel streift die Haut, Nesselzellen explodieren und der Schmerz folgt, je nach Art mehr oder weniger heftig. «Quallenreste sollte man nicht mit den Fingern entfernen», warnt Böttcher. Denn dabei könnten noch nicht ausgelöste Nesselzellen aktiviert und das Gift weiter verteilt werden. «Am besten spült man die betroffene Stelle vorsichtig mit Meerwasser ab.»

Ganz andere Liga: Diese Quallen können tödlich sein

Wichtig: Kein Süsswasser verwenden. «Es hat eine geringere Salzkonzentration als Meerwasser, weshalb die Nesselkapseln aufquellen und platzen. Das setzt zusätzliches Gift frei.» Auch Reiben oder Kratzen sollte man vermeiden.

Was wirklich hilft – und was nicht

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Urin, Backpulver oder Alkohol sind keine geeigneten Hausmittel bei Quallenstichen – sie können die Nesselzellen sogar zusätzlich aktivieren. Auch Essig ist mit Vorsicht zu geniessen: «Bei bestimmten Quallenarten in der Ostsee kann Essig helfen, bei anderen Arten, die etwa im Mittelmeer leben, kann er jedoch die Nesselkapseln zum Platzen bringen», warnt Notfallärztin Heidi Böttcher.

Stattdessen rät Böttcher, betroffene Arme oder Beine heiss zu baden: «Sind alle Nesseln entfernt, kann ein Bad bis 42 Grad helfen, das aus Eiweissen bestehende Gift zu inaktivieren.» Erst danach sei eine kühlende Behandlung sinnvoll. Gele gegen Juckreiz oder kortisonhaltige Salben lindern die Beschwerden, bei stärkeren Schmerzen hilft ein Schmerzmittel wie Ibuprofen. «Treten Kreislaufprobleme, Atemnot oder Schwindel auf, sollte man sofort medizinische Hilfe holen.»

Zudem betont die Notfallärztin, dass man sich vor Ort – etwa an der Hotelrezeption oder vor geplanten Aktivitäten im Meer – erkundigen sollte, ob aktuell gefährliche Quallen vorkommen. Insbesondere in tropischen Regionen wie dem Indopazifik, wo hochgiftige Würfelquallen leben.

Radio SRF 2 Kultur, 100 Sekunden Wissen, 16.7.2025, 06:54 Uhr

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