«Es ist wichtig zu wissen, wie sich ein Wald verändert», sagt Christian Rosset. Der Dozent für Waldbau an der Berner Fachhochschule HAFL möchte diese Veränderungen erfassen.
Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Viola Sala stapft er durch den Sihlwald bei Zürich und sucht einen geeigneten Ort, um seine 360-Grad-Kamera zu platzieren.
Er ist überall in den Schweizer Wäldern unterwegs, um – wie er selber sagt – eine digitale Waldbibliothek zu erschaffen. «Wir wollen die Vielfalt der Schweizer Wälder dokumentieren und deshalb möglichst viele verschiedene Schweizer Wälder digitalisieren», erklärt Rosset.
Wie «Street View», nur viel aufwändiger
Man kann es sich als Pendant zu Google Street View vorstellen. Nur, dass man in diesem Fall natürlich nicht gemütlich mit einem Auto samt 360-Grad-Kamera auf dem Dach die Bilder einfangen kann. Hier geht alles zu Fuss.
Die Wissenschaftler sind schon unzählige Kilometer durch die Schweizer Wälder marschiert. Vielerorts nicht nur einmal. Schliesslich ist das Ziel, auch die Veränderungen des Waldes sichtbar zu machen.
Momentaufnahmen des Waldes
Ein riesiger Aufwand. Wozu? «Beispielsweise für Förster ist das sehr hilfreich», erklärt Rosset. «Sie sehen in unserer Waldbibliothek mit wenigen Klicks, wie sich ein Waldstück innerhalb eines Monats oder gar über mehrere Jahre verändert hat.
Zum Beispiel nach einem Sturm oder nach Holzschlägen.» Die neuen Technologien rund um die Digitalisierung machen es möglich.
Schweizer «röntgen» Urwald von Borneo
Rund 11'000 Kilometer vom Sihlwald entfernt haben Forscher der Universität Zürich ihre Zelte aufgeschlagen. Sie wollen den Urwald von Borneo erfassen. Allerdings per Laser-Scanner.
Ihr Gerät, das an das Equipment eines Vermessungszeichners erinnert, sendet Laserimpulse und kann den Wald sozusagen «röntgen». Das geschieht vom Boden aus oder aus der Luft per Flugzeug.
Die Laserimpulse werden von der Vegetation reflektiert. Das Echo ergibt ein dreidimensionales Abbild des Waldes. So gewinnt man effizient und flächendeckend Informationen über die Höhe der Bäume oder auch die Holzmenge. Bereits heute können automatisch Nadel- von Laubbäumen unterschieden werden.
Schweizer Technologie im Weltall
Die Technologie kann noch mehr: Mit einem zweiten Gerät, einem sogenannten Spektrometer, wird aus der Luft die Stärke der Lichtreflektion des Waldes gemessen. Das ergibt eine Art optischen Fingerabdruck der Vegetation.
Es ermöglicht es den Forschern den Wasser- oder den Chlorophyllgehalt der Bäume abzuschätzen – ein wichtiges Indiz für die Biodiversität des Waldes.
Der Laser soll nächstes Jahr mit Hilfe der US-Raumfahrtbehörde NASA zur Raumstation ISS gebracht werden. So soll der Wald erstmals weltweit per Laser kartiert werden.
Lernen im Wald 2.0
Zurück im Sihlwald: Christian Rosset und Viola Sala von der Berner Fachhochschule haben einen geeigneten Ort gefunden und ihre Kamera platziert. Schon surrt die Kamera einmal um die eigene Achse. Kurz darauf, einige Meter weiter dasselbe noch einmal.
Am Ende entsteht so eine ganze Reihe hochaufgelöster 360-Grad-Aufnahmen. Diese werden später aufwändig bearbeitet, um auf dem Computer den virtuellen Waldspaziergang zu ermöglichen.
Die dabei entstehende Schweizer Waldbibliothek soll nicht nur für Förster eine Hilfe sein, sondern auch dem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. So gibt es den Berner Stadtwald Dählhölzli als interaktiven Waldlehrpfad zu erleben. Man erfährt, was Pilze im Totholz für eine Funktion haben, was der Unterhalt des Waldes kostet oder lernt, welches Blatt zu welcher Baumart gehört.
Ein Erlebnis für zu Hause am Computer oder direkt im Wald, mit dem Tablet in der Hand. Die Digitalisierung des Waldes beginnt in der Schweiz.
Sendung: SRF 1, Einstein, 29.06.2017, 22:25 Uhr